Vor dem Marsch der Million in Ägypten: Mubarak bietet Dialog an
Die Opposition hat in Ägypten zur bisher größten Demo für Kairo aufgerufen und hat die offizielle Unterstützung der Armee, die keine Gewalt anwenden will. Mubarak bietet derweil Gespräche an.
KAIRO afp | Ägyptens neuer Vizepräsident Omar Suleiman hat der Opposition Gespräche über eine Verfassungsreform angeboten. Suleiman sagte am Montagabend im Fernsehen, Staatschef Husni Mubarak habe ihn mit einem Dialog "mit allen politischen Kräften" beauftragt. Am Dienstag versammelten sich tausende Regierungsgegner im Zentrum Kairos zu neuen Massenprotesten, die Opposition rief außerdem zu einem Generalstreik auf.
Die Gespräche sollten über "sämtliche Fragen der Reform der Verfassung und der Gesetze" geführt werden, sagte Suleiman in einer kurzen Ansprache. Bei den seit einer Woche andauernden Unruhen wurden bislang mindestens 125 Menschen getötet. Unter dem Druck der Straße hatte Mubarak seine Regierung umgebildet, die Opposition lehnt aber auch das neue Kabinett unter Ministerpräsident Ahmed Schafik ab.
Unter Führung von Friedensnobelpreisträger Mohamed ElBaradei rief die Oppositionsbewegung für Dienstag zu einem Generalstreik und einem sogenannten Marsch der Million in der Hauptstadt Kairo und der zweitgrößten Metropole Alexandria auf. Am Dienstagmorgen strömten bereits mehr als 5.000 Menschen in das Stadtzentrum von Kairo, wie ein Reporter der Nachrichtenagentur AFP berichtete. Die Armee, die auf den Straßen die Polizei ablöste, bezeichnete die Forderungen der Demonstranten als "legitim" und kündigte an, keine Gewalt gegen sie anzuwenden.
Mubaraks Regierung versuchte weiter, der Protestbewegung die Möglichkeiten zur Kommunikation zu nehmen. Wie das auf die Analyse des Internetverkehrs spezialisierte US-Unternehmen Renesys mitteilte, wurde in Ägypten am Montag der letzte noch funktionierende Internetanbieter Noor abgeschaltet. Der Web-Gigant Google sprang der ägyptischen Opposition derweil zur Seite: Das Unternehmen entwickelte nach eigenen Angaben ein System, mit dem Telefonanrufe in eine Nachricht auf dem Online-Netzwerk Twitter umgewandelt werden können.
Die USA riefen alle Seiten zu Zurückhaltung auf. Die US-Regierung hoffe, dass der Marsch der Million ruhig und ohne Gewalt verlaufen werde, teilte das Weiße Haus mit. Außerdem schickte Washington den früheren US-Botschafter in Ägypten, Frank Wisner, als Sondergesandten nach Kairo. Wie das US-Außenministerium am Montag erklärte, soll der pensionierte Diplomat Gespräche mit hochrangigen Vertretern der ägyptischen Regierung führen und der Forderung nach mehr Demokratie Nachdruck verleihen. Anschließend werde Wisner Präsident Barack Obama über die Situation in Ägypten Bericht erstatten.
Mehrere Länder brachten ihre Staatsbürger angesichts der Unruhen aus Ägypten in Sicherheit. Nach Angaben des Außenministeriums in Washington baten mindestens 2600 US-Bürger um Hilfe bei der Ausreise. Mehr als 1.200 US-Bürger verließen das Land demnach bereits an Bord von Sonderflugzeugen. China charterte weitere Maschinen, um Landsleute auszufliegen. Auch Polen kündigte an, am Dienstag ein Flugzeug für eine Evakuierung nach Ägypten zu senden.
In Deutschland wurde Kritik am Umgang des Auswärtigen Amtes mit der Ägypten-Krise laut. Der Grünen-Politiker Omid Nouripour forderte in der Berliner Morgenpost eine eindeutige Reisewarnung für das nordafrikanische Land. "Deutschen sollte nicht das Gefühl gegeben werden, dass es sicher ist, nach Ägypten zu fahren", sagte er. Das Auswärtige Amt hat einen verschärften Reisehinweis in Kraft, in dem das Ministerium von Reisen nach Ägypten abrät.
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