Vor dem Konjunkturgipfel im Kanzleramt: DGB-Chef fordert Staatshilfe für Jobs
Nicht nur Firmen, auch konkret die Jobs sollen gestützt werden, fordert der DGB. Ansonsten seien "soziale Unruhen nicht mehr auszuschließen". Derweil verliert der 1. Mai an Bedeutung.
BERLIN ap/afp/dpa/taz | Vor dem Spitzentreffen im Kanzleramt am heutigen Mittwoch und dem Tag der Arbeit am 1. Mai will der Chef des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), Michael Sommer, soziale Unruhen in Deutschland nicht mehr ausschließen. Sollte es angesichts der Krise zu Massenentlassungen kommen, sei das eine "Kampfansage an die Belegschaften und die Gewerkschaften", sagte Sommer der Nordwest-Zeitung und fügte an: "Dann kann ich soziale Unruhen auch in Deutschland nicht mehr ausschließen."
Vom Konjunkturgipfel im Kanzleramt müsse das Signal ausgehen, dass Bundesregierung und Wirtschaft alles tun, "um Beschäftigung zu sichern". Die Krise dürfe nicht auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen werden.
Die Stimmung unter der arbeitenden Bevölkerung ist offenbar jedoch noch eine ganz andere. Nur jeder fünfte Deutsche sieht den kommenden Maifeiertag als Tag der Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung, wie der Stern interessanterweise von Forsa ermitteln ließ. Dabei wäre das doch der natürliche Anlass, der Sorge Sommers überzeugend Glaubwürdigkeit zu verleihen.
In einer Umfrage unter 1.004 Bundesbürgern stellte sich aber heraus, dass selbst unter Gewerkschaftsmitgliedern der Maifeiertag an Bedeutung verliert: Nur knapp die Hälfte von ihnen (42 Prozent) sieht den 1. Mai als Tag der Arbeiterbewegung. Die große Mehrheit der Deutschen (74 Prozent) sieht in dem Tag vor allem eines: willkommene Freizeit für Freunde und die Familie.
Hilfe für Karstadt und Co.
Damit es gar nicht erst zu Entlassungen im großen Stil kommt, fordert die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi Staatshilfen für den angeschlagenen Handels- und Touristikkonzern Arcandor. Alle Möglichkeiten zur Stabilisierung von Arcandor (zu dem die Karstadt-Kaufhäuser und er Quelle-Versand gehören) sollten genutzt werden, sagte Verdi-Vize Margret Mönig-Raane der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung. Dazu gehörten auch Bürgschaften oder erleichterte Kredite.
Zugeständnisse der Mitarbeiter lehnte Mönig-Raane strikt ab. "Ein weiterer Sparbeitrag der Beschäftigten ist nicht mehr drin", betonte sie. Der Konzern hatte am Montag einen radikalen Umbau seines Geschäfts angekündigt. Dafür benötigt er in den nächsten fünf Jahren bis zu 900 Millionen Euro.
Spitzentreffen im Kanzleramt
Bundesregierung, Wirtschaft und Gewerkschaften wollen bei ihrem Spitzengespräch im Kanzleramt die bisherigen Konjunkturmaßnahmen überprüfen.
Die beiden Konjunkturpakete mit einem Gesamtvolumen von 80 Milliarden Euro zeigen bereits erste Wirkungen. Allerdings wollen Regierung und Wirtschaft abwarten, bis die Maßnahmen voll greifen. Ein drittes Konjunkturpaket, wie es vor allem die Gewerkschaften fordern, lehnen sie deshalb ab. Thema der Spitzenrunde dürfte auch das gemeinsame Gutachten der führenden Wirtschaftsforschungsinstitute sein, das am Donnerstag vorgelegt werden soll.
Arbeitgeber-Präsident Dieter Hundt will bei dem Treffen vor allem auf eine angemessene Finanzierung der Unternehmen durch die Banken dringen. Dies habe "oberste Priorität", da sich das Problem verschärfe - "zunehmend insbesondere auch zulasten des Mittelstandes", sagte er dem Hamburger Abendblatt. Zudem sollten die Arbeitgeber befristet für 2009 und 2010 vollständig von den Sozialversicherungsbeiträgen auf Kurzarbeitergeld befreit werden.
Ähnlich äußerte sich auch der Präsident des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall, Martin Kannegiesser. Dies solle nicht nur gelten, wenn Unternehmen Kurzarbeiter qualifizieren, sagte er der Financial Times Deutschland. "Wenn Kurzarbeit das wichtigste flankierende Arbeitsmarktinstrument in der Konjunkturkrise ist, dann sollte man dieses in den möglichen zwei Krisenjahren konsequent nutzen." Die Idee zu qualifizieren, sei "eine schöne Formel - aber sie ist in der Breite unpraktikabel".
Kannegießer sprach sich auch dafür aus, Fachkräfte bei drohender Arbeitslosigkeit besonders zu unterstützen. Statt sie in der Krise dem freien Fall zu überlassen, sollen sie in neu gegründeten Beschäftigungsgesellschaften betreut werden. "Diese Ingenieure, ob sie im Betrieb sind oder aus dem Studium kommen, dürfen wir jetzt nicht verlieren.
Der hessische Ministerpräsident Roland Koch (CDU) bekräftigte den Kurs, dass ein drittes Konjunkturpaket derzeit kein Thema sei. "Wir haben ja klar gesagt, dass wir nicht ein Konjunkturprogramm auf das andere folgen lassen wollen, und es gibt im Moment keinen Anlass, diese Position zu verlassen", sagte er dem Münchner Merkur. "Vielmehr zeigt sich, dass Kontinuität in der Arbeit wichtig ist, und dass sich Ruhe und gute Nerven bewähren."
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