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■ Vor achtzehn Jahren wurden die Grünen gegründet. Die Anti-Parteien-Partei von einst hat sich längst in eine seriöse Regierungspartei in spe verwandelt. Doch die Macht hat ihren PreisLernprozeß mit ungewissem Ausgang

Das Timing ist wirklich optimal: Die Grünen, mittlerweile zu den Bündnisgrünen mutiert, vollenden ihr 18. Lebensjahr und stehen an der Schwelle zur Macht. Eine 18jährige Erfolgsgeschichte, die nun, im September 1998, ihren vorläufigen, krönenden Abschluß finden soll: Die Grünen werden Teil der Bundesregierung.

Sollte es vor 18 Jahren tatsächlich grüne VisionärInnen gegeben haben, die mit solchen Träumen zum Gründungsparteitag nach Karlsruhe reisten, haben sie sie tief in ihrem Herzen vergraben. Als sich 1980 eine Vielzahl lokaler und regionaler Gruppen zu einer bundesweiten Partei zusammenschlossen, war der Gedanke einer Regierungsbeteiligung so weit weg wie eine bemannte Marsstation. Die Grünen wollten viel mehr als die Bundeskanzlerin stellen, sie wollten schlicht die Erde retten. „Ein Planet wird geplündert“, das informelle Gründungsmanifest der Partei, hat entgegen heutiger landläufiger Meinung kein steineschmeißender Autonomer Namens Joschka aus Frankfurt geschrieben, sondern ein biederer CDU- Mann. Herbert Gruhl, den die damalige Opposition gerade aus dem Bundestag ekelte, weil er mit dem Kohlschen Kanzlerwahlverein nicht mehr kompatibel war, hatte allerdings auch bei den Grünen nur einen kurzen Auftritt.

Die waren in ihrer Mehrheit zwar von Gruhls Apokalypse Now überzeugt, wollten sich aber denn doch mit anderen Mitteln dagegen stemmen als der stockkonservative Familienvater Jahrgang 1921. Nicht der Oldie aus dem Bundestag, sondern die Jeanne d' Arc gegen den Kinderkrebs, Petra Kelly, wurde zur ersten Ikone der neuen Partei. Von ihr stammte dann auch die Parole der kommenden Jahre: die Grünen als Antiparteien-Partei.

Die Vorstellung, die sich damit verband, war ziemlich vage und hatte viel mit einer permanent, selbstverständlich öffentlich, tagenden Bürgerinitiative zu tun, die auf der Bühne des Bundestages den Deutschen die Bedrohung des Planeten ins konsumgetrübte Hirn hämmern sollte. Ihren Triumph erlebte Petra Kelly im Frühjahr 1983. Mit 5,6 Prozent der Stimmen und vielen Sonnenblumen in den Händen zogen die Grünen erstmals in den Bundestag.

Die Erregung war enorm, das öffentliche Interesse riesig, die Grünen ein überaus dankbares Objekt der Berichterstattung, und die ökologische Bedrohung wurde zum Gemeinplatz. Der Bewußtseinswandel in Deutschland war nicht mehr zu stoppen, die Sorge um die Umwelt rückte auf Platz eins der politischen Prioritätenliste. Doch was nun? Die Grünen entwickelten ihren Strömungskampf. Opponieren, tolerieren, mitregieren? Wenn man antritt, die Erde zu retten, ist es ein weiter Weg bis zur Formulierung einer Müllsortierverordnung. Der größte Teil der Grünen ist ihn dennoch gegangen, obwohl immer noch klar war: Wir wollen mehr. Das Publikum hat diese Doppelstrategie aus Utopie und Pragmatismus goutiert, die Grünen konnten kontinuierlich zulegen. Bis zum entscheidenden Jahr 1989.

1989, in Zahlen meßbar im Dezember 1990, wurde der unaufhaltsame Aufstieg der Grünen abrupt gestoppt: Der Fall der Mauer drohte sie zu einer Fußnote der vergangenen Bundesrepublik zu machen. Bei den ersten gesamtdeutschen Wahlen flogen sie aus dem Parlament, keine Mensch redete mehr von ihren Themen. Der Wiederaufstieg war mühsam und hat die Grünen mehr verändert als jede andere der westdeutschen Parteien. Ein Novuum in der Parteiengeschichte: Seit ihrem Wiedereinzug in den Bundestag 1994, eilen die Bündnisgrünen zwar von Erfolg zu Erfolg, doch die Partei ist bescheiden geworden. Niemand will mehr die Welt retten – vielleicht war es ja doch nicht so wild mit der bevorstehenden Apokalypse, hört man jetzt – die Parole vom Konsumverzicht ist angesichts tatsächlich zunehmender gesellschaftlicher Armut auch nicht mehr so populär, und die gerechte Weltwirtschaftsordnung, ersatzweise die Öffnung der eigenen Grenzen für die Betrogenen der Dritten Welt, möchte man denn doch lieber verschieben, bis auch der letzte Skinhead von der Sinnhaftigkeit einer solchen Maßnahme überzeugt ist.

Das hat nicht unbedingt damit zu tun, daß die Grünen, vom Erfolg korrumpiert, zu einem Haufen von Verrätern an ihren eigenen Idealen geworden wären. Die Grünen sind, mit den Worten des amtierenden Verteidigungsministers Rühe, eben auch ein Spiegel der Gesellschaft. Das ist auch richtig so, sonst gäbe es sie längst nicht mehr. Gerade nach dem Ende der großen Würfe muß die Frage nach dem Wofür des Erfolges aber um so präziser beantwortet werden. Christa Nickels, eine der wenigen Frauen aus der Gründergeneration, die nach wie vor die Grünen im Bundestag vertritt, sagte schon vor knapp zwei Jahren, sie habe Angst, daß die Grünen ihr wichtigstes Kapital, ihre Widerborstigkeit, verlieren. Das macht sich auch an dem aktuell heißesten Konflikt fest. Garzweiler II, der Braunkohletagebau im Rheinland ist nach allem, was Grüne in den letzten 18 Jahren gesagt haben, der Sündenfall an sich: landschaftszerstörend, luftverpestend, energiewirtschaftlich unsinnig. Während die Bundesspitze der Partei jedoch ihre Kollgen in NRW beknien, deswegen die Koalition nicht an die Wand zu fahren – um die Chancen für die Bundestagswahl nicht zu gefährden –, gehört Christa Nickels zu den ganz wenigen bundesweit relevanten Grünen aus NRW, die für die Kündigung der Koalition ist – aus Gründen der Glaubwürdigkeit.

Die Grünen haben es geschafft, ihre Partei zu einem einigermaßen gut funktionierenden Dienstleitungsunternehmen in Sachen Politik umzubauen. Sie werden ernstgenommen, die Vorstellung, sie könnten Teil einer Bundesregierung werden, versetzt niemanden mehr in Angst und Schrecken. Darin liegt aber gleichzeitig das Problem. Vor 18 Jahren, als sich ein Haufen ganz unterschiedlicher Leute dazu entschloß, eine neue Partei gründen, trieb sie eine existentielle Angst – die Angst vor der Bedrohung der Zivilisation. Diese Angst war noch keine Politik, aber die übrige Gesellschaft erkannte sie als berechtigt an. Die meisten grünen Politprofis wissen heute, wie man ein Gesetz macht, eine Verwaltung führt und einen Wahlkampf managt. Dabei ist ihnen aber etwas verlorengegangen: Sie haben keine Angst mehr. Jürgen Gottschlich

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