Vor Landtagswahl in Sachsen: Zermürbte Demokratie
In Dresden treffen sich Kommunalpolitiker, die von Rechten bedroht werden. Sie beklagen: Oft würden sie mit ihrem Problem allein gelassen.
Der Prozess verlief im Sande. „Da habe ich zeitweise den Glauben an unseren Rechtsstaat verloren“, blickt Martina Angermann zurück, die auch wegen der zunehmenden Bewaffnung militanter Systemgegner nicht mehr zur Ruhe kam.
Einige Amtsträger haben sich von Attacken und deren gesundheitlichen Konsequenzen einigermaßen erholt. Torsten Pötzsch von der Wählervereinigung Klartext nicht. Als Oberbürgermeister von Weißwasser in der abgehängten Lausitzregion auch überregional schon fast eine Berühmtheit, wird Plötzsch nach psychosomatischen Folgen einen Dauerschaden behalten und kann keinen Sport mehr ausüben. Im Frühjahr hatte er seinen Rückzug vom Amt angekündigt. Spektakulär verkündete Ende Juli auch der parteilose Landrat von Mittelsachsen, Dirk Neubauer, seinen Rückzug – unter anderem, weil auch er und seine Familie bedroht worden waren.
Zum Treffen in Dresden hatte Sachsens Sozialministerin Petra Köpping (SPD) eingeladen. Gekommen sind im wesentlichen Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, die sich schon vor zweieinhalb Jahren mit einem Brief hilfesuchend an Sachsens Innenminister Armin Schuster (CDU) gewandt hatten. Auf eine Reaktion von ihm warten sie bis heute. Immer mehr Amtsträger resignieren währenddessen und potenzielle Kandidaten verzichten, weil sie sich den Terror von rechts nicht antun wollen – nicht nur in Sachsen.
Blinder Fleck beklagt
Den Schutz von Bund und Ländern vermissen vor allem Kommunalpolitiker in ländlichen und kleinstädtischen Räumen. In der Runde wurde vermutet: Hinderlich sei vielleicht, dass die Perspektive der Entscheidungsträger in den Hauptstädten zu stark auf ihr urban-aufgeklärtes Milieu beschränkt sei.
Dieser Text ist Teil unserer Berichterstattung zu den Wahlen 2024 in Brandenburg, Sachsen und Thüringen. Die taz zeigt, was hier in diesem Jahr auf dem Spiel steht.
Schon 2019 hatte zwar Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die Pulsnitzer parteilose Bürgermeisterin Barbara Lüke besucht. Das war aber ein symbolischer Akt. Darum, dass die Polizei überhaupt von Attacken auf ihre Tochter und Fackelaufmärschen vor ihrem Haus Notiz nahm, hatte Lüke lange kämpfen müssen. Sie hält sich bis heute im Amt, auch dank ihrer juristischen Qualifikation.
Die Gemeinde Nebelschütz bei Kamenz erhielt 2008 den europäischen Dorferneuerungspreis. Über die Attacken auf ihren sorbischen, 32-jährigen Bürgermeister Thomas Zschornack (CDU) hatte die taz zuletzt im Februar 2024 ausführlich berichtet. In Dresden beschrieb er, wie das einst gute Mikroklima in der Gemeinde durch die Neue Rechte vergiftet wird. Das Neutralitätsgebot untersagt den Bürgermeistern selbst, die Partei beim Namen zu nennen, die vor allem für solche Diffamierungskampagnen verantwortlich ist.
Das Dresdner Treffen zeigte vor allem, wie die AfD systematisch nicht nur den Status missliebiger Personen, sondern auch das Vertrauen in Institutionen zerstört. Es beginnt in der Regel mit einer Lawine von Dienstaufsichtsbeschwerden, die den Verwaltungsapparat lahmlegen sollen. Gleiches gilt für eine Flut von Anträgen und für die destruktive Ausnutzung von Redezeiten für Belanglosigkeiten. Alles legale Mittel, mit denen man eine Demokratie durch sich selbst abschaffen kann.
Anklang in der Bevölkerung
Sozialministerin Köpping erklärt mit den Einschüchterungsversuchen auch die landläufige Meinung, man dürfe in der heutigen Bundesrepublik nicht mehr alles sagen. Barbara Lüke aus Pulsnitz aber konstatiert bestürzt, dass diese „antidemokratische Stimmung“ in der ländlichen Bevölkerung auch breiten Anklang findet: Weg mit der lästigen streitsüchtigen Demokratie, her mit dem Führerprinzip, damit endlich mal wieder einer sage, wo es langgeht!
Lüke spricht von einer „Gesetzgebungskrise“ und meint damit ein generelles Defizit kommunaler Belange. Ob Kommunalpolitiker gesetzlich besser geschützt werden können, wurde in Dresden wenig erörtert. Nach der Attacke auf den SPD-Kandidaten Matthias Ecke im Europawahlkampf war eine bundesweite Debatte kurz aufgeflammt. Dies bleibe eine Aufgabe für die kommende Legislatur, meinte jetzt die Ministerin.
Defizite sieht man eher bei den Strafverfolgungsbehörden, die „die Gesamtschau wenig im Blick haben“, so ein beratender Anwalt aus Pulsnitz. Von Amts wegen ermitteln sie selten und kaum ein Amtsträger wagt noch eine Anzeige. Dabei kennt man lokal die Hetzer und ihre Vernetzung oft persönlich, erkennt die Autoren anonymer Schreiben an ihrem Duktus oder den hartnäckigen Rechtschreibfehlern. Leute mit oft genauer Dossierkenntnis, die die Bürgermeister dann mit 20 Jahre alten Fällen auslasten. Was für sich genommen weniger beunruhigen würde, wenn mehr Bürger die dahinterstehende Absicht, diesen Staat zu demontieren, durchschauen würden.
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