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Vor Jahrestag von Germanwings-TragödieAngehörige erneuern Kritik an Luftfahrtamt

Montag vor zehn Jahren ließ ein Pilot den Germanwings-Flug 4U9525 in den Alpen abstürzen. Angehörige der Opfer fordern weiter Entschädigung.

Bergungsarbeiten am Wrack in den französischen Alpen im März 2015 Foto: Yves Malenfer/Minstere de l'Interieur/AP/dpa

Paris afp | Zehn Jahre nach dem Absturz einer Germanwings-Maschine in den französischen Alpen werfen Angehörige dem Luftfahrt-Bundesamt weiter schwere Versäumnisse vor. „Es hätte auffallen müssen, dass der Co-Pilot psychologische Probleme hatte“, sagte der Anwalt Julius Reiter mit Blick auf den Co-Piloten Andreas Lubitz, der das Flugzeug mit 150 Menschen an Bord laut den Ermittlern absichtlich gegen ein Bergmassiv gesteuert hatte. „Die Fliegerärzte haben Fehler gemacht und Lubitz durchgewunken“, ergänzte sein Kollege Elmar Giemulla in einem AFP-Gespräch.

Der Co-Pilot Andreas Lubitz sei während seiner Ausbildung in den USA wegen einer Depression zusammengebrochen und nach Deutschland zurückgekehrt, sagte Reiter. Dort habe er später ein Gutachten erhalten, mit dem er seine Ausbildung beenden konnte. „Bei den regelmäßigen Untersuchungen von Piloten spielte die psychologische Vorerkrankung offenbar keine Rolle“, sagte der Anwalt.

Die Hinterbliebenen hatten zunächst gegen Lufthansa geklagt, waren aber abgewiesen worden. Zuständig sei das Luftfahrt-Bundesamt, das die Fliegerärzte kontrolliere, lautete die Begründung. „Eine ungewöhnliche Rechtsauffassung“, sagte Giemulla. Er schließe nicht aus, dass das Gericht am Ende Lufthansa für zuständig erkläre. „Das wäre grotesk“, sagte er. Dann müsse sich der Bundesgerichtshof damit befassen.

Letztlich trage auch die damalige Bundesregierung einen Teil der Verantwortung, „weil sie ein europäisches Gesetz unzureichend umgesetzt hat“, sagte Reiter. „Wenn es schon vor der Katastrophe ordnungsgemäß umgesetzt worden wäre, hätte bei den medizinischen Untersuchungen auf die Vorerkrankungen eingegangen werden können.“

Kritik an Höhe der Entschädigung

Das Luftverkehrsgesetz wurde schließlich 2016, ein Jahr nach dem Absturz, geändert. Seitdem sind Luftfahrtunternehmen verpflichtet, vor Dienstbeginn zu prüfen, ob Flugpersonal unter dem Einfluss von Medikamenten, Alkohol oder anderen psychoaktiven Substanzen steht. Zudem wurde beim Luftfahrt-Bundesamt eine elektronische Datenbank über flugmedizinische Untersuchungen und Beurteilungen eingerichtet.

Eine Düsseldorfer Kanzlei vertritt etwa 30 Angehörige, die laut Reiter eine „Feststellung der Verantwortlichkeit“ sowie weitere Schmerzensgeldzahlungen zur Kompensation und Linderung des durch den Absturz verursachten Leids erreichen wollen. Die Lufthansa hatte den Angehörigen Entschädigungen angeboten, die von vielen als zu gering erachtet wurden. Mehrere Angehörige erreichten später höhere Entschädigungszahlungen, deren Summen nicht genannt wurden.

„Wir fordern deutlich mehr als das, was angeboten wurde“, sagte Reiter. „Auch wenn Geld niemals ein verlorenes Menschenleben aufwiegen kann, sehen wir in der fairen Begleichung bestehender Ansprüche eine wichtige Geste desjenigen, der für entstandenes Leid und Schmerzen verantwortlich ist“, erklärt die Kanzlei auf ihrer Website.

Laut Giemulla ist mit einer mündlichen Verhandlung in der ersten Jahreshälfte zu rechnen. Verhandlungen zwischen der Kanzlei und dem Verkehrsministerium hätten bisher noch nicht zu einer einvernehmlichen Lösung geführt.

Beim Absturz der Germanwings-Maschine am 24. März 2015 in den französischen Alpen waren alle 150 Menschen an Bord ums Leben gekommen, unter ihnen 72 Deutsche. Zu ihnen zählten auch 16 Schülerinnen und Schüler und zwei Lehrerinnen eines Gymnasiums im nordrhein-westfälischen Haltern am See.

Das Flugzeug war in Barcelona gestartet und auf dem Weg nach Düsseldorf. Lubitz hatte die Kabinentür von innen verriegelt, als er allein im Cockpit war, und den Sinkflug eingeleitet. Das Flugzeug raste mit 700 Stundenkilometern gegen eine Felswand.

Am Montag findet in Le Vernet in der Nähe des Absturzortes eine Gedenkfeier statt, zu der etwa 400 Menschen erwartet werden, unter ihnen viele Angehörige.

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1 Kommentar

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  • Der Täter stand nicht unter einer plötzlichen psychischen Notsituation aus heiterem Himmel. Er hatte eine lange Leidensgeschichte, d.h. ihm war klar, das in ihm Gefährliches abläuft. Das er dennoch aus völlig egoistischen Motiven die Verheimlichte ist unfassbares Versagen jeglichen Verantwortungsgefühls seinerseits.



    Ich würde sogar soweit gehen, da mehr Versagen des persönlichen als des Arbeits-Umfeldes zu unterstellen, denn eine ´ich, ich, ich über alles in der Welt´-Haltung, die für diese Tat notwendig war, ist zumindest teilweise anerzogen und typisch klein- bis gutbürgerlich. Nicht als gäbe es Egomanie nicht auch im Subproletariat oder bei Großbürgern, aber hier ist die Selbstdefinition über den eigenen beruflichen Status am Verbreitetesten und (Selbst)morde aus diesem Grund am Häufigsten. Sich und Anvertraute zu killen aus Angst vor sozialem Statusverlust findet sich nun mal kaum unter Harzern oder Herzögen. Aber da das ein Problem der Mitte der Gesellschaft ist, wird es genauso wie von dort ausgehende Männergewalt nicht als strukturelles, gesellschaftliches Problem, sondern als tragische Einzelfallproblematik wahrgenommen. Somit klar - Schuld müssen Staat und Firmen sein.