Diagnose: Akuter Anfall von emotionaler Pest
Emotionale Pest ist laut W.Reich (Charakteranalyse) eine Form der Charakterneurose, die entsteht, wenn bei einem Menschen die natürlichen Lebensäußerungen der Selbstregelung unterbunden wurden. Der emotional Pestkranke hinkt charakterlich und neigt u.a. zu sadistischen Reaktionen. Anfälle der emotionalen Pest werden in unseren Kreisen, wenn sie leichter Natur sind, dadurch bewältigt, daß man sich isoliert und abwartet, bis der Anfall von Irrationalismus vorübergeht. In schweren Fällen, wo freundschaftlicher Rat nicht hilft, räumt man vegetotherapeutisch auf. Solche akuten Pestanfälle werden regelmäßig durch eine Störung des Liebeslebens hervorgerufen und sie verschwinden, wenn die Störung beseitigt wird. Es kommt natürlich vor, daß ein solcher Pestanfall nicht bewältigt weden kann und der Betreffende größeren oder geringeren Schaden anrichtet oder gar ausscheidet. Wir nehmen solche Unfälle in ähnlicher Weise hin, wie man eine körperliche Krankheit oder das Hinscheiden eines lieben Zeitgenossen hinzunehmen pflegt.
Die emotionale Pest ist eine Funktion des Charakters und wird als solche vom Betroffenen scharf verteidigt. Der Anfall wird nicht als ich-fremd erlebt,- die Uneinsichtigkeit betreffend seiner Motive und Beweggründe sind weit stärker ausgebildet als beispielsweise bei der Hysterie. Sobald an seinen Wurzeln gerührt wird, treten Angst und Wut auf.
Ein im wesentlichen pestfreier , orgastisch potenter Mensch entwickelt lebhaftes Interesse, wenn die Dynamik natürlicher Lebensprozesse besprochen wird.
Pestkranke kämpfen gegen andere Lebensarten an, auch dort, wo sie ihn selbst gar nicht berühren. Das Motiv seines Kampfes ist die Provokation, die andere Lebensweisen durch ihre bloße Existenz für ihn darstellen. Pestkranke dulden Anschauungen nicht. Wahrhafte und gerade Menschen werden als Sonderlinge betrachtet, als irgendwie mit einem Spleen behaftet. Daß wahrhaftig und aufrichtig sein mit sozialer Lebensgefahr einhergeht, lässt sich in keiner Weise nur aufgrund der herrschenden kulturellen Ideologie, sondern nur mittels Kenntnis der organisierten emotionalen Pest begreifen.Nur so lässt es sich auch begreifen, daß die Triebfedern aller Freiheitsbestrebungen: Sachlichkeit und Wahrhaftigkeit, in Jahrhunderten schwerster Anstrengungen immer wieder unterlagen.
Mit tiefem Bedauern, eine solche Ausgeburt an Unsachlichkeit ausgerechnet in der TAZ zu finden,
S.Stinshoff
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