Vor 39. Revolutionsjahrestag in Nicaragua: Ortegas Sturmangriff auf Masaya
Kurz vor dem Jahrestag der Revolution lässt Daniel Ortega Masaya angreifen. Die Stadt gilt als Hochburg des Widerstands gegen sein Regime.
Zwei Tage, bevor am 19. Juli der 39. Jahrestag der sandinistischen Revolution begangen wird, blies Ortega zum Sturmangriff auf die Stadt Masaya, Hochburg des Widerstands gegen sein autoritäres Regime. Vor dem Feiertag, an dem an den Sieg über die Diktatorendynastie der Somoza 1979 erinnert wird, sollte die Stadt „gereinigt“ werden, „koste es, was es wolle“. So der Auftrag.
Schon im Morgengrauen begannen um die 2.000 Mann Spezialtruppen, verstärkt durch Einheiten der Nationalpolizei und paramilitärische Verbände Masaya und speziell den indianischen Stadtteil Monimbó zu umstellen.
Mit Sonnenaufgang begann die Offensive. „Niemand kommt hier rein, niemand kann raus, auch die Verwundeten nicht“, berichtete ein Einwohner von Monimbó, den die taz am Telefon erreichte. Im Hintergrund waren Schüsse von Kalaschnikows zu hören.
Stärke zeigen mit Sicherheitsaufgebot
Der Stadteil Monimbó, geprägt von kleinen Handwerksbetriebe, war durch Dutzende Barrikaden aus Pflastersteinen in eine Trutzburg verwandelt, die monatelang das Zentrum der Proteste gegen Ortega und seine allgemein verhasste Frau und Vizepräsidentin Rosario Murillo gebildet hatte. Jede Barrikade wurde von Männern verteidigt, von denen viele nicht mehr nur Steinschleudern und Feuerwerkskörper gegen die militärische Übermacht in Stellung brachten.
Der Einwohner von Monimbó, der seinen Namen nicht in der Zeitung sehen will, hat in den vergangenen zwei Wochen eine Militarisierung des Konflikts beobachtet, der vor drei Monaten mit friedlichen Protesten begann, die blutig unterdrückt wurden.
Mittlerweile zählt man über 370 Todesopfer, und auch der Blutzoll auf Regierungsseite steigt. In den vergangenen Tagen wurden mehrere Polizisten erschossen, darunter einer, der Daniel Ortegas Rückzug aus Masaya deckte. Der Staatschef war mit massivem Sicherheitsaufgebot erschienen, um Stärke zu zeigen.
Eine Opferbilanz der Rückeroberung von Masaya ist noch nicht möglich. Medien sprechen von mindestens vier Toten. Nach der Einnahme jeder Barrikade ließen die Regierungstrupps die Bagger kommen und begannen in Häuser einzudringen, wo sie junge Männer herausholten. Der Einsatz von Drohnen ermöglichte ihnen, in die Hinterhöfe zu spähen, ob es Männer im wehrfähigen Alter gab. Über das Schicksal der Verschleppten ist nichts bekannt.
„Der Moment zum Abtreten“
Ortega will bis zum Revolutionsjubiläum am Donnerstag sämtliche Barrikaden und Straßensperren im Land beseitigt haben, damit er den Sieg über die „Kontrerrevolution“ verkünden kann. Alle, die sich an den Protesten beteiligt haben, erwarten hohe Haftstrafen.
1979 hatte Ortega, führender Comandante einer der drei in der FSLN vereinigten politischen Linien, Regierungsverantwortung übernommen, als der Diktator Somoza geflohen war und die Guerilleros triumphierend in Managua einzogen und mit einigen bürgerlichen Alliierten eine Regierungsjunta bildeten.
1984 war Ortega zum Präsidenten gewählt worden, verlor das Amt aber, als bei den Wahlen im Februar 1990 die konservative Oppositionskoalition Uno gewann. Violeta Chamorro wurde Präsidentin, Daniel Ortega ging in die Opposition.
Er strukturierte die FSLN nach seinem Gutdünken um, Kritiker wurden hinausgedrängt. Einige, etwa der Schriftsteller Sergio Ramírez, vormals Ortegas Vizepräsident, oder Dora María Tellez, die einst als „Comandante Dos“ den Sturm auf den Nationalpalast organisiert hatte, gründeten die „Bewegung der Sandinistischen Erneuerung“.
Jeder Protest wird kriminalisiert
Doch die FSLN blieb die starkste Partei im Land, und durch zahlreiche Pakte, unter anderem mit Kirche und Unternehmerverband, schaffte Ortega 2006 die Rückkehr an die Macht. Seither hat er nicht zur seine Frau zur Vizepräsidentin wählen lassen, auch nahe alle Kinder und sonstigen Verwandten sind mit Regierungsposten versorgt.
Am Montag wurden zwei Gesetze durch das von Ortega-Getreuen kontrollierte Parlament gepeitscht, die jeden Protest kriminalisieren. Ein Gummiparagraph bedroht alle mit 15 bis 20 Jahren Haft, die sich an Demonstrationen beteiligen, bei denen Personen oder Güter zu Schaden kommen.
Das UNO-Hochkommissariat für Menschenrechte sieht darin „einen Text, der jene, die friedlich protestieren als Terroristen abstempeln könnte“ – und wurde prompt vom nicaraguanischen Außenminister Denis Moncada in einer energischen Protestnote als „Komplize in Aktionen von Terroristen“ zurechtgewiesen.
Nicht nur die UNO und zuletzt auch EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini haben zum Dialog und zum Ende der Gewalt in Nicaragua aufgerufen. Auch der uruguayische Ex-Präsident José Mujica, der als ehemaliges Mitglied der Tupamaro-Guerilla unverdächtig ist, im Sold Washingtons zu stehen, hat in einer Videobotschaft Klartext gesprochen: „Was einst ein Traum war, ist zu einer Autokratie verkommen und wer gestern Revolutionär war, hat das das Gespür verloren, wann der Moment zum Abtreten gekommen ist“.
Deutsche Soli-Bewegung unterstützt den Protest
Anlässlich des 19. Juli hat auch die deutsche Solidaritätsbewegung eine Erklärung veröffentlicht. „Wir unterstützen die Forderungen der Protestbewegung: vorbehaltlose Aufklärung der Verantwortlichkeiten für die Repression; sofortiger Rücktritt der amtierenden Regierung und der Polizeiführung sowie Bildung einer Übergangsregierung unter breiter Partizipation der sozialen Bewegungen,“ heißt es darin.
Unter den 115 Erstunterzeichnern findet sich alles, was einst in der Nicaragua-Bewegung der 1980er Jahre Rang und Namen hatte. Auch der langjährige Grüne Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele, der Schriftsteller Erich Hackl und die emeritierten Professoren Urs Müller-Planttenberg und Klaus Meschkat haben unterschrieben.
In diesem Zusammenhang bittet das Informationsbüro Nicaragua auch um Geldspenden für die Versorgung der Verletzten, den Schutz vor Repression und für Menschenrechtsarbeit in Nicaragua.
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