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Von glücklicher Wut und autistischer Ruhe

■ Vom Neo-Folk-Hype über Rock'n'Roll zum NDR-Tubaspieler: Rückblicke auf vier Mal Musik in Hamburg

Penelope Houston

Ausverkauf? Von wegen. Zwar ist Penelope Houston vom Indie-Label zur großen Plattenfirma gewechselt, zwar haben ihre Begleit-Mannen die akustischen Instrumente zu Hause in San Francisco gelassen, zwar wurden einige Songs radiotauglich neu abgemischt – aber daß die gerne so genannte Neo-Folk-Königin nach dem Versiegen des Neo-Folk-Hypes neue Hörerkreise gewonnen hätte, läßt sich nicht unbedingt sagen. Nur sehr locker gefüllt war die Markthalle am Sonntag abend bei ihrem Auftritt. Das war schade.

Schön war aber, daß Penelope Houston sich und ihre Musik trotz mancher Verschiebungen wenig geändert hat. „Cut You“, sowohl der Song (den die Houston erst in der ersten von drei Zugaben brachte) als auch das Plattencover (auf dem sie herausfordernd mit Messer posiert) verdeutlichen eher vorhandene Elemente, als daß sie neue hervorbrächten: Die Schönheiten ihrer Songs waren schon vorher voller Abgründigkeiten. Und auch die Elektronifizierung der Instrumente beinhaltete live keine Revolution: In den vergangenen Konzerten hatte die Band gezeigt, wie zeitgemäß akustische Gitarre, Mandoline und Schlagbaß sein können; jetzt erweist sie, wie subtil E-Gitarre und E-Baß sind. Gut so. Es war das dritte Konzert in Hamburg in drei Jahren, in derselben Besetzung, zu einem großen Teil mit demselben Programm und – wenn wir recht gesehen haben – auch mit demselben Publikum. Da bahnt sich ein Ritual an! Im Ernst: Wir freuen uns schon auf ihren 30. Auftritt in 27 Jahren. Wir werden älter geworden sein, aber die Songs, sie werden strahlen wie am ersten Tag. Kristallin. Wie aus der Zeit gefallen. Warum soll sich auch etwas ändern müssen, das doch so gut ist?

Dirk Knipphals

Team Dresch/Bikini Kill

Im Störtebeker war wieder einmal schön was los. Erst legte zwar noch eine Band aus fünf reifen Boys einen Hardrock-Core hin, der nur eine Frage aufwarf: wie geht es an, gleichzeitig so zornig, und in seinem Zorn doch so stockbrav zu sein? Danach aber zeigten die Portlanderinnen Team Dresch, wie speedfreudiges Rock'n'Roll-Gehuber im Sound noch gesteigert werden kann: Mit Stante-Pede-Melodien, glücklicher Wut in Gitarren-Akkorden und einer Schlagzeugerin, die den Spurt der Gerechten allen anderen Bewegungsarten vorzieht. Zwischen den Stücken gelöste Fassungslosigkeit: die Sängerin erzählte von einer Bremer Lesben-Disco, in der es, anders als in Portland, zu keinem einzigen „fight“ gekommen sei. Bikini Kill waren auf einen Angriff eingestellt, der nicht erkennen ließ, ob die guten Gründe oder die mäßige Laune der Musikerinnen den Ausschlag gaben. Es spielte die Band, welche unbestritten weiß, warum es „gegen den Seelentod“ geht und berechtigt ungnädig gegenüber jenen auftritt, die nicht genug verstehen. Fragt sich nur, ob es viel bringt, sich darüber von der Bühne aus zu beschweren.

Kristof Schreuf

Natalie Merchant

Tigerlily heißt das Album, mit dem Natalie Merchant, Ex-Sängerin der Folk-Rock-Band 10.000 Maniacs, im vorigen Jahr ihr Solodebut gab. Als Meisterin des Understatements wird Merchant von der Journaille gerne bezeichnet. Zwei Pole, zwischen denen die Musik und das Auftreten Natalie Merchants während ihres Konzertes im Logo in eine faszinierende und mitreißende Bewegung gerieten. Ob Natalie Merchant, blaß in Schwarz gewandet, ruhig, autistisch gar, ihre Lieder singt wie im Traum, oder ob sie, die Haare schleudernd, sich tanzend auf der Bühne verausgabt, immer ist die New Yorkerin hinreißend und stimmgewaltig. Auch musikalisch scheint Merchant sich ständig zu verändern. Es gibt Songs, die klar in der Maniac-Folk-Tradition stehen. „Carnival“ dagegen, die Hitsingle des Albums, groovt mit Percussions. Beeindruckend in allen Genres ist die kluge Komposition von poetischen Texten und Arrangement. Und alle Songs gewinnen live einen überraschenden, weil neuen und kontrastreicheren Charakter. Höhepunkt war in dieser Hinsicht „I May Know The Word“, ein Lied, das klanglich einen ganz eigenen, hypnotisierend-sphärischen Stil spüren ließ. Bei diesem wie bei anderen Songs trat Merchant ihren Platz im Scheinwerferlicht für Solos an die 24jährige Gitarristin Jennifer Turner ab, die so wirkt, als wäre sie bei jedem der wunderschönen Solos, die sie spielt, überrascht über sich selbst. Nach den Zugaben hatte sich Merchant ihren Platz beim ohnehin schon hörigen Publikum endgültig gesichert: Den Fans in der ersten Reihe brachte sie kühle Getränke bevor sie, im Duett mit Jennifer Turner (singen kann sie auch!) erstklassige Coverversionen von Soulklassikern lieferte. „Gemüse, kein Fleisch, bitte“ gab sie als eine Kostproben ihrer Deutschkenntnisse während des Konzerts. Ob fleischlos oder nicht, ein klasse Konzert war's, auf jeden Fall.

Elke Siegel

Howard Johnson

Okaye Leute machen aus einer guten Idee etwas, um es allen zu zeigen. Aus der Tuba machte Howard Johnson am Sonntagabend in der Fabrik ein kleines Ereignis. Neben einer Rhythmusgruppe und einem Pianisten bedienten fünf weitere Mitmusiker ebenfalls Baß- und Kontrabaßtuben. Johnson stellte ein Klima her: Der langjährige NDR-Musiker trat bis über die Ohren mit Instrumenten behängt auf die Bühne und erkannte Leute im Publikum wieder, die er „back in 1977“ schon dort hatte begrüßen dürfen. Nach dem ersten Stück lieferte er eine Untertreibung als Anlaß für die Gründung dieser Band: „The good parts always go to the other instruments“ innerhalb eines Orchesters. Dann zog Johnson Klassiker wie „Stolen Moments“ mit einem Lächeln aus dem Knopfloch, und ließ ab und zu das Listening easy sein. Die meistes Zeit aber, besonders wenn zwei Tuben jeweils in ihren Lagen Terzen und Quinten abgingen, passierte etwas ganz Besonderes: es verschwand die Frage, ob es viel Zeit braucht, um auf so etwas zu kommen, oder um von so etwas wieder loszukommen. Ganz schön fesselnd.

Kristof Schreuf

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