: Von durchaus bolschewistischer Logik
■ Jack Nicholson als „Hoffa“ in Danny DeVitos Film: Starke Szenen von der Rückseite des „corporate America“
Ohne Vorspann fällt der Film in die Szenerie, reißt einen mit in die zwanziger, dreißiger Jahre: als Arbeit noch Arbeit war, Lohn Lohn und Streit Streit. Welche Erholung, ein Film, der nicht dominiert wird vom Designterror der Ausstatter und Beleuchter, in dem das bläuliche Leuchten nicht getränkt ist von verlogener Noblesse, und es ist auch keine Frau im Angebot, deren Brüste zu näherer Begutachtung innerhalb der folgenden zwei Stunden anstünden.
Es gibt nur Männer in der ersten Hälfte dieses Films, der einen hochbrisanten gesellschaftlichen Moment wie unter der Lupe in Erscheinung treten läßt (das Element von Vergrößerung wird symbolisiert durch die enorme Bewegung der Kamera vor dem Objekt): die Bildung gewerkschaftlicher Gruppen aus der Dynamik des improvisierten Streiks.
Sofort ist Gewalt und Verrat im Spiel: Hoffa, der sich eben den Einstieg in die schmale Fahrerkabine von Bobby Ciaros Lastwagen erzwungen hat, outet den hilflosen Fahrer vor den Obst- und Gemüsehallen als gewerkschaftlichen Paktierer, worauf der sofort gefeuert wird — Ruin seiner Existenz. Ciaro, der kleine Italiener, setzt dem Aufrührer Hoffa bei Nacht das Messer an die Kehle und wird in einer dramatischen Wendung der Geschichte zum Fahrer und Helfer Hoffas und anderer wilder Tiere. So kommen sie zusammen: Danny De Vito, der melancholische Zwergitalo mit dem rührenden Mondgesicht, und Jack Nicholson, die Verkörperung des Psychoriesen, der unbesiegbar ist, weil er die Hölle in sich trägt. Mit einer perfekten 20th-Century-Fox-Studios- Gumminase ist das Knollige aus seinem Gesicht verschwunden. Das macht ihn James Riddle Hoffa ähnlich, dem amerikanischen Gewerkschaftsboß, der aus der armen Detroiter Vorstadt aufstieg zum Boß der mächtigsten Gewerkschaft der Welt, der Teamsters.
Schnitt: Die Helden von gestern sitzen auf dem Rücksitz einer neuen 70er-Jahre-Limousine, geparkt auf dem Kieselsteinparkplatz eines Truckstops und warten. Das ist die zweite Erzählebene des Films. Sie warten einen halben Tag auf Leute, die nicht kommen. Da ist ein Trucker im Restaurant, eine Travoltatype im Jeansanzug, der angeblich auf Ersatzteile wartet, die irgendjemand liefern soll. Sehr klar meint man an ihm zu sehen, wie der Trucker ein Mittelständler geworden ist, aufgegangen im Code einer Gesellschaft, die sich nicht mehr über Arbeit, sondern über Konsum definiert. Und als Ciaro am Nachmittag ein wenig sentimental wird und den jungen Mann mit two coffees to go zu Hoffa schickt, zum großen Hoffa, den der junge „Trucker“ nun einmal leibhaftig sehen darf, ist er der Killer. Geniale Szene: De Vito, der dem im Auto wartenden Hoffa die Waffe geliehen hat, im Hintergrund, lächelnd, plötzlich in Panik — dann knallt ein 18-Tonner durchs Bild — und ein paar Sekunden später sind die Leichen der gewerkschaftlichen Freunde samt Limousine in einem Containerlastwagen verschwunden. Ende der Spur per Endlosband im eigenen Medium. Truckin'.
Das plötzliche Ende Hoffas in dieser Variante, das mit dem Ende des Films zusammenfällt, ist natürlich die Phantasie des Drehbuchautors David Mamet und das Rätsel seines Verschwindens am 30.Juli 1975, in seinem zweiten Taufnamen „Riddle“ mysteriös vorweggenommen, ist glücklicherweise nicht das Thema des Films. „Hoffa“ ist die typische Erzählung von Aufstieg und Fall. Es ist eine Geschichte an der Rückseite Amerikas: Die Gewerkschaften sind die Feinde des freien Marktes, der jedem eine Chance geben soll, und bis sie sich verwurzelt haben in der Nachkriegsgesellschaft, sind sie selbst Unternehmen geworden, Riesenkraken, Instrumente der Politik, verstrickt mit dem organisierten Verbrechen — wie die Politik, aber ohne ihren ethischen Bonus, etwas „Neues“ beginnen zu können.
Einer amerikanischen Wahrnehmungsbarriere dieser Art steuert „Hoffa“ zunächst entgegen. Nicholson ist nicht halb so diabolisch wie Tim Robbins in „Bob Roberts“; er verkörpert den hochintelligenten Aufsteiger, der trotz Bombenlegens und Anführung von Schlägertrupps von sich glauben darf, „anständig geblieben“ zu sein. Es ist die siegfriedmäßige Unverletzbarkeit Nicholsons, die einen an die Figur bindet. So wie die Massen schweigen, wenn er spricht, müssen die Fragen schweigen, solange sein Auftrag als Massenauftrag kenntlich ist. Durchaus eine bolschewistische Logik, brillant zum Leuchten gebracht.
Die zweite Hälfte des Films beginnt mit der Verehelichung Hoffas, also dem Versuch, sich als Gewerkschaftsgangster eine bürgerliche Legende zu verschaffen. Jetzt sieht man Hoffa nicht mehr in Kontakt mit den Massen, sondern im Kampf um seine Legitimation, Positionen, Privilegien. Auch in diesem Teil wieder sehr starke Szenen: Hoffa vor einem Regierungsausschuß, der Korruption in der Gewerkschaft untersucht. Die amerikanische Kunst der Abgrenzung, des Ausschlusses, der ungebrochene Mythos von Ja und Nein: die Wirksamkeit der Rhetorik des in den eigenen Augen Aufrechten zeigt der Film perfekt im Stottern und Stammeln des Fragenden, des Senators Robert Kennedy. Die Gegenszene spielt im Gerichtssaal: Einer der drei Angeklagten hat auf die Bank des Kronzeugen gewechselt, und Nicholson und De Vito zeigen in kaum merklichen Regungen der Gemüter die ganze Wucht der Jurisdiktion, die am Beispiel des Individuums die Geschichte objektiv umkehrt.
Dieses Duo, gerade in seiner Ungleichheit (groß und klein, Anführer und Helfer) ist natürlich rührend. Der Pakt mit der Mafia erscheint als ungreifbares Obstakel am Horizont im Vergleich mit dieser handfesten Kumpeltreue, die im Verrat entstanden ist, der nachträglich wie ein gelungener Trick aussieht (aber auch da kommt man ins Grübeln).
Das Duo — weitgehend Fiktion — hält den Mythos der furchtlosen Buben aufrecht, wo längst dekadente Männer zu sehen sind. Wenn sie nicht Mafiosi sind, sind sie von denen kaum noch zu unterscheiden. Die Girlie-Welt der Nachtclubs und privaten Champagnerbars: Hier wird „Cabaret“-mäßig nachgeliefert, was am Anfang des Films gar nicht vermißt wurde.
Daß Regie und Produktion sich nicht so recht entscheiden können, inwieweit die Identifikation mit Hoffa zu schüren sei oder zu kappen, ist leider unüberhörbar im Soundtrack des Films, der auf plumpeste Einsätze hin orchestrales Wischiwaschi zum Besten gibt. Schade, denn eine musikalische Reise von Blue Grass über Gershwin zu Miles Davis und Night Fever hätte durchaus das Gefühl dafür schärfen können, daß diese Figuren ein halbes Jahrhundert (genau symmetrisch zu seiner Mitte) durchqueren. Daß sie dieselben bleiben, während sich die Kulisse rapide wandelt, ist nicht weiter wunderlich. Dreharbeiten dauern ja nur ein paar Wochen. Ulf Erdmann Ziegler
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