Von der Polizei erschossener Hussam Fadl: Witwe kämpft für Aufklärung
Der Geflüchtete Hussam Fadl wurde 2016 unter ungeklärten Umständen von der Berliner Polizei erschossen. Seine Ehefrau verklagt nun das Land Berlin.
![Menschen auf einer Demonstration; einer trägt ein Schild mit der Aufschrift "Hussam Fadl erschossen von der Polizei" Menschen auf einer Demonstration; einer trägt ein Schild mit der Aufschrift "Hussam Fadl erschossen von der Polizei"](https://taz.de/picture/6931519/14/27380422-1.jpeg)
„Wir haben in diesem Land ein Unrecht erfahren, das meine Familie gebrochen hat. Ich erwarte Reparationen“, sagte Gate am Montag. Sie und ihr Mann Hussam Fadl waren gemeinsam mit ihren drei Kindern 2014 aus dem Irak nach Deutschland geflohen. Die Familie kam in einer Sammelunterkunft in Moabit unter. Dort rückte an einem Abend im September 2016 die Polizei an, weil ein Bewohner ein sechsjähriges Mädchen – Fadls und Gates Tochter – sexuell missbraucht haben soll.
Der Tatverdächtige saß bereits gefesselt im Polizeiauto, als Hussam Fadl aufgebracht auf den Platz vor der Traglufthalle stürmte. Drei Polizisten schossen viermal von hinten auf ihn. Einer traf und verletzte Fadl lebensgefährlich. Er starb wenig später im Krankenhaus.
Bis heute ist ungeklärt, weshalb die Polizisten das Feuer eröffneten. Die Polizei gab später an, Fadl sei mit einem Messer in der Hand auf den Verdächtigen im Auto zugelaufen. Andere Zeug*innen haben allerdings kein Messer gesehen. Ein sichergestelltes Küchenmesser wies keine Fingerabdrücke von Fadl auf. Trotzdem teilte die Staatsanwaltschaft die Ansicht der Polizei und stellte 2017 die Ermittlungen mit dem Verweis auf Notwehr und Nothilfe ein.
Ein Zivilprozess bietet neue Möglichkeiten
Zaman Gate wollte sich nicht damit abfinden und erreichte mit ihren Anwält*innen, dass die Staatsanwaltschaft 2018 die Ermittlungen wieder aufnahm – allerdings nur, um sie kurz darauf erneut einzustellen. Die Witwe legte nach und reichte eine Verfassungsbeschwerde ein, der das Landesverfassungsgericht im vergangenen Sommer überraschend stattgab. Nun muss das Kammergericht über Gates Antrag auf Klageerzwingung entscheiden.
Unterdessen streitet die Witwe mit ihrer Anwältin Beate Böhler auch auf dem zivilrechtlichen Weg für Gerechtigkeit. Laut Böhler bietet der nun anstehende Prozess um Schmerzensgeld die Möglichkeit, die Aufklärung voranzutreiben. Denn in einem solchen Zivilverfahren gelten andere Regeln für die Beweisführung als in einem Strafverfahren. Es gilt nicht der Grundsatz: „Im Zweifel für den Angeklagten“. Stattdessen muss der Beklagte – das Land Berlin – beweisen, dass die Schüsse auf Hussam Fadl nicht rechtswidrig waren.
Das sei eine „günstige Beweissituation“, betonte Böhler. Allerdings sei die Beweisführung gegen die Polizei immer eine Herausforderung: „Andauernd gibt es angebliche Erinnerungslücken und Zeug*innen sind nicht auffindbar.“ Die Anwältin ist trotzdem zuversichtlich: Die beschuldigten Polizisten treten in dem Zivilverfahren als Zeugen auf. „Ich freue mich schon darauf, sie konfrontativ zu befragen“, sagte Böhler.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Denkwürdige Sicherheitskonferenz
Europa braucht jetzt Alternativen zu den USA
„Edgy sein“ im Wahlkampf
Wenn eine Wahl als Tanz am Abgrund verkauft wird
RTL Quadrell
Klimakrise? War da was?
Verlierer der Wahlrechtsreform
Siegerin muss draußen bleiben
Absturz der Kryptowährung $LIBRA
Argentiniens Präsident Milei lässt Kryptowährung crashen
Überraschung bei U18-Wahl
Die Linke ist stärkste Kraft