■ Von der Parteilinken der Grünen darf man erwarten, daß sich ihre Ideen auf die Wirklichkeit dieses Landes einlassen: Nicht nur die Backen aufblasen
Man sagt, auf einen groben Klotz gehöre ein grober Keil. Demnach hätte Jürgen Trittin (taz vom 27. 1.) eigentlich eine gepfefferte Antwort verdient. Denn was er da zur Lage bei den Grünen und besonders zu den Realos abgeliefert hat, kann man einem Parteisprecher eigentlich so nicht durchgehen lassen: „Bretterpolitik“, „dreiste Arroganz“, „vorgesäuselte Allmachtsphantasien“ und was ihm sonst noch alles an Nettigkeiten an die Adresse von unsereins eingefallen ist. Ich dachte eigentlich, diesen Stil der Auseinandersetzung hätten wir mit Jutta Ditfurth längst hinter uns gelassen.
Gleichwohl machte es wenig Sinn, jetzt mit gleicher Münze zurückzuzahlen oder besser zurückzuholzen. Sinn dagegen macht die Beschäftigung mit dem Problem, das ja wohl den eigentlichen Anlaß gab für Trittins Artikel: Zustand und Rolle der Parteilinken. Genauer gesagt, mit ihrer Kraft und Fähigkeit, der von Trittin selbst so schön formulierten Aufgabe, „einer weiteren Desintegration der Gesellschaft (zu) begegnen“, gerecht zu werden.
Auf der bundespolitischen Bühne der Grünen scheint sich diese politische Potenz derzeit vornehmlich auf die Ausübung einer Art „Wächteramts“ zu reduzieren. Allfällig sind die Mahnungen und Warnungen unserer Freunde von der Parteilinken, die Realos wollten „eine Kurskorrektur hin zum Mainstream deutscher Politik“ – was immer das sein mag. Davor zu warnen, darin scheint die historische Mission der Parteilinken schon aufzugehen. Geradezu reflexhaft wird die eigene politische Rolle aus der Abgrenzung zu anderen heraus definiert, die man ständig in der Gefahr von Abweichungen, Kotaus oder ähnlichem sieht. Profil ist, wenn man sich an den Realos abarbeitet.
Verschiedene Richtungen in einer Partei sind nichts Schlimmes, im Gegenteil. Das Problem beginnt allerdings da, wo die primäre Bezugsgröße der einen die gesellschaftliche, die der anderen vornehmlich die innerparteiliche Wirklichkeit ist. Es kann einfach nicht produktiv sein, wenn gegenwärtig so viele Debatten über die Kernfragen der derzeitigen innenpolitischen Auseinandersetzung – Standortdebatte, Beschäftigungssystem, Sozialstaat und Finanzkrise – so stark von der Sorge vor ätzender innerparteilicher Kritik oder gar vor Totschlagargumenten aus der linken Ecke bestimmt sind.
Von der Parteilinken ist mehr zu verlangen. Es muß ein Ende haben mit den billigen Beschwörungsformeln grüner Radikalität und dem Rekurs auf wohlige Bauchgefühle eines selbsterklärten Gutmenschentums. Man wird von der Parteilinken gefälligst erwarten dürfen, daß sich ihre Ideen und Konzepte einlassen auf die realen Möglichkeiten zur Veränderung dieses Landes. Nun spürt Trittin offenbar selbst, daß hier ein Problem liegt. Deshalb seine Kritik auch des linken „Neofundamentalismus“ und der Versuch, einen eigenen Weg der „pragmatischen Linken“ einzufordern.
Freilich bleiben die Angebote, die er selbst dazu macht, eher nebulös. Er spricht davon, den „Diskurs der Umverteilung nach oben zu wenden“. Ein ehrenwertes Ziel, gewiß. Aber mehr erfahren wir dann schon nicht mehr. Wie will er das eigentlich machen? Mehrheiten will er dafür finden, nun, das muß man in einer Demokratie immer. Zur weiteren Konkretisierung folgt dann das Versprechen, daß der Verteilungsspielraum größer sei, als die Realos, die sich „mit den wirklich Mächtigen und Reichen nicht anlegen wollen/können“, annähmen. Mit diesem vagen Versprechen endet das Ganze dann aber auch schon. Wo die Spielräume liegen könnten, die unsereins angeblich nicht bedenkt, bleibt im dunklen. Das diffuse Ressentiment reicht; man kennt ja schließlich diese Leute.
Von jeder ernstzunehmenden grünen Debatte über ökologischen Strukturwandel, Wirtschaftsentwicklung, Beschäftigungssystem und soziale Sicherungssysteme ist zu verlangen, daß sie ganz nüchtern die heutigen Realitäten zur Kenntnis nimmt. Zu diesen Realitäten gehört die Globalisierung der Märkte, auch und gerade der Finanz- und Kapitalmärkte, die verschärften internationalen Konkurrenzbedingungen durch Schwellenländer und Ostöffnung, die Arbeitslosigkeit, die aus vielen Ursachen resultierende Kostenexplosion bei den Sozialabgaben sowie die Finanzkrise der öffentlichen Hand. Sie wird weiter davon ausgehen müssen, daß unter Bedingungen offener Grenzen und internationalisierter Märkte Globalsteuerung und keynesianische Ausgabenprogramme ebenso wenig Erfolg versprechen, wie es realistisch wäre, von der Möglichkeit einer nationalen Kontrolle von Kapitalströmen auszugehen. Zumal die französischen Sozialisten nach 1981 mit solchen Versuchen schrecklich gescheitert sind.
Unter diesen Rahmenbedingungen lassen sich immer noch höchst unterschiedliche politische Handlungsvorschläge zimmern. Natürlich kann man die Erbschaftssteuersätze an das in Europa anderswo übliche Niveau angleichen. Natürlich ist nicht einzusehen, warum durch die ständige Ausweitung beitragsfremder Aufgaben für die Sozialkassen die Beitragszahler soziale Aufgaben allein finanzieren müssen. Natürlich bleibt auch das Thema soziale Symmetrie im Rahmen einer großen Steuerreform auf der Tagesordnung. Von der Ökosteuer gar nicht zu reden. Sie könnte sowohl wirtschaftliche Anreize zur Innovation bei Produkten und Verfahren schaffen wie auch zur Absenkung der Lohnnebenkosten beitragen. Es gibt vieles, was zu ändern wäre, und ich kenne niemanden unter den Realos, den nicht hin und wieder ein heiliger Zorn über viele Ungerechtigkeiten unseres Sozial- und Steuersystems überkommt. Aber die auch bei Jürgen Trittin wieder durchscheinende Vorstellung, es gebe da den großen Schnitt, den wirklich zu machen vielen lediglich der Mut fehle – sie ist einfach unrealistisch und im besten Falle naiv. Um Mutproben geht es leider nicht.
Daß diese Partei ihren linken Flügel hat, ist in Ordnung. Aber es kann nicht sein, daß die einen die eigentliche konzeptionelle Arbeit machen und für die Breite der gesellschaftlichen Akzeptanz sorgen, während die anderen Identitätspflege betreiben, wolkige Sprüche klopfen und sich ansonsten vor allem für die gelben und roten Karten zuständig fühlen. Es gibt das böse Wort von der Trittbrettfahrerei. Ich halte davon nichts, weil ich einen Sinn darin sehe, daß es einen linken Flügel der Grünen gibt. Aber der muß auch mal mit Konzepten kommen, die nicht nur klarmachen, was nicht geht. Man kann nicht immer nur die Backen aufblasen. Hubert Kleinert
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