■ Das Schicksal der Bündnisgrünen sind die Sozialdemokraten. Sie müssen es nur herausfordern: Von der Öko- zur Ökonomiepartei
Schwarz-Grün, Rot-Grün, Grün versus Gelb, Grün oder Rot? Fritz Kuhn gebührt das Verdienst, auf die substantielle Frage, die die Grünen in den letzten beiden Wochen bewegte, eine richtungsweisende Antwort gegeben zu haben. In der taz vom vergangenen Mittwoch hatte der Spitzenpolitiker der baden-württembergischen Grünen die Erkenntnis, eine reale Option auf ein Bündnis mit der CDU sei heute „weiter weg, als jemals zuvor“. Einen Tag später lautet in der Woche seine Botschaft: „Wo immer die Grünen nachweisbar mit der CDU mehr erreichen können als mit der SPD, müssen sie es wagen.“ Hat je ein Grünen- Politiker die Position seiner Partei klarer auf den Doppelpunkt gebracht: Wir haben keine Chance, aber wir nutzen sie?
Die Parole ist Gründungsprogramm. Aus dieser Ausweglosigkeit heraus operierten die grünen Protagonisten bereits in ihren jungen Jahren gegen ihre christdemokratischen Väter. Die Affinität ist trotz aller Revolte geblieben, der Wunsch, mit ihnen Frieden zu schließen, treibt sie nun anscheinend zurück ins Sofakissen. Die Machtfrage wird nicht mehr gestellt, um die Mehrheit nicht mehr gerungen, sondern sie wird sich erschlichen – wie weiland das Taschengeld.
Ein Wahlsieg der FDP genügt, und das rot-grüne Reformprojekt legt sich freiwillig auf die Schippe, von der die Liberalen gerade gesprungen sind. Die Grünen spielen Grenzüberschreiter, wo die Konservativen gerade die Lagerzäune wieder errichten, suchen Konsens, wo jene den stimmhaltigen Wert der Konfrontation nutzen. Kurz, sie knicken ein, wo die Auseinandersetzung härter und spannender zu werden verspricht.
Dabei hat ihnen die FDP doch vorgemacht, wie man publikumswirksam eine ausweglose Lage meistert. Die Freidemokraten haben ihre ganze schwindende Kraft auf ein Konfliktfeld gebündelt, der Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums, und sich konsequent der finanziellen Entlastung des privaten Kapitals verschrieben. Bündnis für Arbeit ist megaout, lautet die Botschaft, kaum verhohlen schwärmt Rexrodt schon vom amerikanischen Modell. Mit ihrer Forderung nach Senkung der Steuern und Abgaben hat die FDP den Nerv auch der christdemokratischen Wählerschaft getroffen. Sie erhielt deren Stimmen, nicht, um der CDU die Mehrheit zu sichern, sondern um sie in diese neoliberale Richtung zu treiben.
Die FDP hat auf ihre Weise das Feld markiert, auf dem auch die Bundestagswahl 1998 entschieden wird. Wer bis dahin auf die Probleme der Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik keine überzeugende Antwort geben kann, hat schlechte Karten. Innerhalb des rot-grünen Lagers fiel bislang der SPD die Rolle zu, diese Antwort zu formulieren. Ihr Problem ist nur, daß sie meist gleich mehrere Antworten auf einmal anzubieten hat, wovon einige denen der Koalition durchaus gleich sind. Sie ist weit von einem Konzept entfernt, das – wie in den sechziger Jahren die keynsianisch geprägten Vorstellungen ihres damaligen Wirtschaftsministers Schiller – eine erfolgversprechende sozialdemokratische Alternative zu einem scheiternden christdemokratischen Krisenmanagement darstellt.
Die Ökosteuer, das rot-grüne Markenzeichen, wird als Regelung eines Zielkonfliktes wahrgenommen, jedoch kaum als Konjunkturprogramm. Ihr haftet der Ruf an, den Menschen noch mehr abzuverlangen, in einer Situation, in der sie kaum etwas abzugeben haben. Ein Problem, daß nicht nur auf die fortlaufende Distanzierung einiger SPD-Politiker von diesem Modell zurückzuführen ist. Mit ihm hätte erst recht eine genuin grüne Wirtschaftspolitik zu kämpfen, wollte die Partei aus eigener Kraft den Vorstoß in die Mitte wagen.
Nachbesserung an dem Konzept tut not, denn die Ökosteuer ist der materielle Kern eines Reformprojektes, dessen Träger auf absehbare Zeit die Grünen nur im Verbund mit der SPD sind. An ihm entscheidet sich der Wille der SPD, 1998 tatsächlich einen Wechsel herbeizuführen.
Zur Zeit kann an diesem Willen gezweifelt werden. Die Partei stagniert, schwankend zwischen einer programmatischen rot-grünen und einer faktischen Großen Koalition, befangen in der Vorstellungswelt einstiger Größe und ignorant gegenüber dem aktuellen Niedergang. Wer nicht einmal die eigene Misere erkennt, wie soll der Antwort auf die gesellschaftliche Krise geben können? Die SPD schwelgt noch im Nymbus der Volkspartei, träumt von Alleinregierung statt realistischerweise die 35-Prozent- Marke zum Ausgangspunkt strategischer Überlegungen zu nehmen. Die SPD will nach allen Seiten offen sein, das wird ihr zu Recht als Beliebigkeit ausgelegt. Sie beklagt eine disparate Wählerklientel, gravierender jedoch sind ihre divergierenden Optionen.
Wenn sie als Reformpartei gelten will, muß sie sich auf Rot-Grün als Machtperspektive festlegen. Das zwingt sie nicht auf einen klaren Oppositionskurs, auch wenn dieser einer Reihe von Sozialdemokraten im Bundestag naheläge. Das führt nicht zu einer Koalition in der Opposition, auch wenn manche Grüne dies für sinnvoll erachten. Es benennt vielmehr eine Orientierung, die es beiden Parteien ermöglicht, auch in Distanz zueinander zu operieren, solange die gemeinsamen Projekte dadurch nicht gefährdet werden.
Die Notwendigkeit dieser Distanz ergibt sich bereits aus dem strategischen Dilemma, in dem die SPD steckt. Im Bundestag ist sie Oppositionspartei, ihre Ministerpräsidenten bilden über den Bundesrat mit der Bundesregierung faktisch eine Große Koalition. In dieser Koalition werden in den nächsten Monaten die Weichen im Verteilkonflikt gestellt. Dort werden die Ausgangsbedingungen für die Wahl 1998 formuliert. Wie die SPD dabei ihre Doppelrolle ausfüllt, mit welchem auch personellen Konzept sie Programmatik und Pragmatik in Einklang bringt, entscheidet über die Chancen von Rot-Grün. Den letzten Wahlkampf verlor sie wegen ihrer Uneindeutigkeit, dem muß sie beim nächsten frühzeitig vorbeugen.
Ohne die SPD haben die Grünen auf absehbare Zeit keine Regierungsperspektive. Ihr Kokettieren mit Schwarz-Grün drückt eher eine Enttäuschung über die Stagnation der Sozialdemokratie aus, als daß damit eine reale Alternative formuliert wäre. Die Grünen haben ihr Potential vorerst ausgeschöpft. Wollen sie nicht auf dem Status quo stehenbleiben, wollen sie die SPD treiben, müssen sie die gewohnte Arbeitsteilung innerhalb des rot-grünen Bündnisses aufgeben. Ökopartei kann sich auch Ökonomiepartei buchstabieren. Dieter Rulff
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