Von der Bildfläche verschwunden

■ Schauspieler als Naziopfer – Ausstellung und Matinee im Deutschen Theater

Der Stahnsdorfer Friedhof am Rande Berlins, nur einige Kilometer vom ehemaligen DDR-Prominentenviertel Kleinmachnow entfernt, ist wunderschön. Ein Waldfriedhof, der wie ein Skulpturenpark zum Spaziergang einlädt. Hier liegt Zille „janz im Jrünen“, haust die Familie Langenscheidt in einer keineswegs bescheidenen Hütte, fand Fritz Murnau seine letzte Ruhestätte. Ganz in der Nähe von Murnaus Grabstelle befindet sich das Grab der Familie Gottschalk: der einstige Film- und Theaterstar hatte sich mit seiner Frau Meta und dem achtjährigen Sohn Michael am 5. November 1941 in ihrer Berliner Wohnung das Leben genommen. Die Eheleute drehten selbst den Gashahn auf und kamen so möglicherweise einem noch schlimmeren Schicksal zuvor. Meta Gottschalk war Jüdin, ihr Mann hatte sich nicht – wie von Goebbels angeordnet – zugunsten seiner Karriere von ihr trennen wollen.

Nur wenige Kollegen, darunter Gustav Knuth, Ruth Hellberg und Brigitte Horney, hatten die Courage, der Beerdigung der Gottschalks beizuwohnen. Hinter den Bäumen ringsum versteckten sich zwecks Observation Leute von der Gestapo.

Aber noch viel trauriger muß es bei der Beerdigung von Hans Otto zugegangen sein. Da hat sich kaum jemand hingetraut. Otto, der jahrelang auf der Bühne den Typus „jugendlicher Held“ verkörpert hatte, war überzeugter Kommunist und Parteimitglied gewesen; er wurde 1933 verhaftet, elf Tage lang gefoltert und dann – zur Vortäuschung eines Selbstmords – aus dem Fenster der Berliner Voßkaserne geworfen.

Joachim Gottschalk und Hans Otto waren Stars, beide Schauspieler an Berlins wichtigsten Bühnen und beteiligt an verschiedenen Filmen der Ufa. Stars wie auch: Kurt Gerron, der als „Tiger Brown“ den Kanonensong in der Uraufführung der Brechtschen „Dreigroschenoper“ schmetterte, später den Zauberer im „Blauen Engel“ spielte und selber Filme drehte; Robert Dorsay, Tänzer und Komiker, der die besten Flüsterwitze über Hitler zu erzählen wußte; Fritz Grünbaum, der gemeinsam mit dem ebenfalls von den Nazis ermordeten Komiker Paul Morgan die Doppelconférence im Kabarett erfunden hat; Otto Wallburg, der mit seinem Blubbern einen unvergleichlichen Sprachstil pflegte und aufgrund seines Leibesumfangs immer den Industriellen, Direktor oder reichen Onkel markieren mußte.

Sie alle verschwanden nach 1933 im wahrsten Sinne des Wortes von der Bildfläche; emigrierten teilweise nach Holland oder Österreich. Eine Arbeit außerhalb ihres Sprach- und Kulturkreises war ihnen schwer vorstellbar. Politisch blind (Wallburg) oder zögerlich (Gerron) oder schlicht unvorsichtig und naiv (Dorsay, hingerichtet wegen „Wehrkraftzersetzung“), wurden die meisten von ihnen deportiert und später vergast; Kurt Gerron durfte noch einen letzten Film inszenieren, einen „Dokumentarfilm über eine jüdische Siedlung“ namens Theresienstadt.

Der Hannoveraner Autor Ulrich Liebe hat vor zwei Jahren seine Recherchen über „Schauspieler als Naziopfer“ in Buchform veröffentlicht: Wenn auch nicht gerade sonderlich raffiniert geschrieben, versammelt der Band viele Dokumente (Texte, Briefe und Kritiken) zu den sechs genannten Schauspielern, enthält Film- und Discographien sowie Kurzbiographien zu weiteren Opfern unter Schauspielern im „Dritten Reich“. Liebes Recherchen sind außerdem in eine Ausstellung eingeflossen, die jetzt nach den Stationen Düsseldorf und Hamburg in Berlin im Foyer des Deutschen Theaters zu sehen ist. Eröffnet wird sie mit einer Matinee am Sonntag in den Kammerspielen des DT, damit jene Stars von einst nicht mehr „verehrt verfolgt vergessen“ sind. Sabine Seifert

Matinee, Sonntag, 11 Uhr, Deutsches Theater. Schauspieler lesen aus Dokumenten und Briefen, Ausstellungseröffnung im Anschluß um 13 Uhr.

Ulrich Liebe: „verehrt verfolgt vergessen. Schauspieler als Naziopfer“, Beltz/Quadriga, Weinheim 1992, 68 Mark.