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Von der Bewegung zur traditionellen Partei

■ Die ODS von Vaclav Klaus, eine Abspaltung vom Bürgerforum, ist Favoritin bei den Wahlen

In den inzwischen unzähligen Bildbänden über die „samtene Revolution“ des Herbstes 1989 fehlt eine Aufnahme mit Sicherheit nicht: Am 19. November gründen die Dissidenten der Charta 77 im Prager „Schauspielclub“ gemeinsam mit Künstlern und Studenten das „Bürgerforum“ (OF).

Diese revolutionäre Bewegung, an deren Spitze der inzwischen „überparteiliche“ tschechoslowakische Staatspräsident Vaclav Havel stand, organisierte in den darauffolgenden zehn Tagen die Demonstrationen auf dem Wenzelsplatz; in zähen Verhandlungen zwang sie die Kommunistische Partei, auf ihre „führende Rolle“ zu verzichten. Und schließlich: im Frühjahr 1990 gewann das Bürgerforum die ersten freien Parlamentswahlen in der CSFR, mit nahezu 50 Prozent läßt es alle anderen Parteien weit hinter sich.

Doch damit ist es mit der Herrlichkeit des Bürgerforums dann auch schon fast vorbei. Die unterschiedlichen politischen Strömungen, die bereits während der Revolution sichtbar wurden, zeigen sich nun immer deutlicher. Das Signal für die „Wende“ setzt die Wahl von Vaclav Klaus zum Vorsitzenden des OF im Herbst 90. Der Finanzminister, der sich noch im Frühjahr 89 geweigert hatte, eine Petition für die Freilassung des inhaftierten Vaclav Havel zu unterschreiben, setzt sich gegen Charta-Unterzeichner Martin Palous durch.

Ebenso wie die Basis möchte er die locker organisierte Bewegung in eine traditionelle Partei umwandeln. Doch neben der Strukturdebatte gibt es auch Auseinandersetzungen über die Wirtschaftsreformen. Während Finanzminister Klaus „alle Macht dem Markt“ fordert, setzten die Männer um Außenminister Jiri Dienstbier auf strukturierende Eingriffe des Staates. Sie betonen dessen Verantwortung in den Bereichen Ökologie, Kultur und Bildung. Gestritten wird um den Begriff „liberal“ und die Auslegung der Theorien des Wirtschaftswissenschaftlers Friedrich von Hayek. Jede Strömung möchte dessen Gedanken gern als die eigenen darstellen, jede Strömung möchte liberaler als die andere sein.

Und so vollzieht sich nach wochenlangen, nicht ohne persönliche Beleidigungen geführten Hahnenkämpfen im Januar 91 die Teilung. Um Klaus entsteht die sich schnell zur stärksten Partei der tschechischen Teilrepublik entwickelnde „Bürgerlich-Demokratische Partei“ (ODS), die nicht nur den „3. Weg des Prager Frühlings“, sondern auch alle anderen politischen Experimente entschieden ablehnt. Kritisiert wird von ihr auch die Außenpolitik Jiri Dienstbiers, so etwa seine zeitweilige Unentschiedenheit bei der Frage des Nato-Beitritts sowie die enge Zusammenarbeit mit Polen und Ungarn. Ohne Rücksicht auf diese mitteleuropäischen Staaten möchten die „Klausianer“ so schnell wie möglich in die westlichen Organsiationen integriert werden.

Bürgerbewegung zittert vor 5-Prozent-Hürde

Der dritte Weg wird zwar auch von der zweiten aus dem OF entstehenden Organisation, der Bürgerbewegung Dienstbiers, abgelehnt, doch zugleich versucht sie, ihren politischen Vorstellungen aus der Zeit der Opposition treu zu bleiben. Besonders betont wird die Verantwortung des „Bürgers“, gestärkt werden soll die kommunale Verwaltung. Doch ihre differenzierten, oft von historischen und philosophischen Ausführungen begleiteten Thesen sind in einer Zeit, in der die Mehrheit der Bevölkerung lediglich zwischen „rechts“ und „links“ unterscheidet, von dieser nur schwer nachzuvollziehen. Und so kann die Bewegung froh sein, wenn sie bei diesen Wahlen die 5-Prozent-Hürde überspringt.

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