: Von den Kali-Türmen wehen schwarze Fahnen
■ Kumpel protestieren gegen Stillegung ohne ausreichenden Sozialplan / Keine Chance für 12.000 Beschäftigte / Weniger als Arbeitslosengeld
Bleicherode (dpa) - „Hier hat jede Familie einen im Berg.“ Mit verschwitztem Gesicht sitzt ein Kali-Kumpel im trüben Licht der Grubenbeleuchtung am Füllort. 614 Meter über ihm liegt Kleinbodungen, ein Örtchen, das vom Steinsalzbergbau lebt, seit im Jahr 1912 der Schacht abgeteuft wurde. Jahrelang brachte der Export von Kalidünger Devisen in die DDR-Staatskasse. Jetzt, wo der Weltmarkt gesättigt ist und die Absatzländer im Osten selbst harte Valuta für Harz-Kali zahlen müssen, droht dem ganzen Südharz das wirtschaftliche Aus.
„Keine Chance“ räumt Gabriele Glaubrecht, Thüringens Landesvorsitzende der Bergarbeitergewerkschaft, den sechs Südharz-Gruben mit ihren 12.000 Beschäftigten ein. „Aber ich bleibe mit unter Tage, bis ein akzeptabler Sozialplan steht.“ Mit zwei dutzend Kumpeln harrt sie unter Kleinbodungen aus. „Streik darf man das nicht nennen, weil wir null Stunden kurzarbeiten“, erklärt Obersteiger Lars Kijewski. „Null-Stunden-Kurzarbeit“ ist mehr als die sprachliche Verschleierung von Erwerbslosigkeit im DDR -Deutsch nach der Wende. Es bedeutet, daß die Kumpel weniger Geld bekommen als Arbeitslose. Für die Angleichung dieser Zahlungen sind die Bergleute im Ausstand. Und für eine Abfindung, wie sie ihre Kollegen im Mansfelder Kupfererz -Bergbau bei Entlassung erhalten - durchschnittlich 15.000 Mark. „Aber eigentlich wollen wir arbeiten“, meint Kijewski.
Zum Beweis lassen die Kali-Kumpel noch einmal ihre Muskeln spielen. „Wir wollen nicht das Armenhaus in Deutschland werden“, steht auf einem Transparent an einem Radlader. Das gelbe Grubenfahrzeug steht vor der „Glückauf„-Grube in Sondershausen quer auf der Fernstraße vier, der wichtigsten Nord-Süd-Verbindung durch den Harz. Zum Nachbarort Bleicherode ist kein Durchkommen mehr. Mit Baggern und Mülltonnen haben die Kumpel alle Straßen dichtgemacht. Aus Solidarität sind die Beschäftigten der Molkerei ebenfalls in den Ausstand getreten und versorgen die Bergarbeiter mit Milch und Käse. Auf einer Kundgebung in Bleicherode erklärten Beschäftigte des Schachtbaus in Nordhausen ihre Sympathie. Auch in den Kalirevieren Werra und Zielitz rumort es. „Wenn wir hier keine Lösung finden, kommt es zum Flächenbrand“, befürchtet Gabriele Glaubrecht. Der Regierungsbevollmächtigte für den Bezirk Erfurt, Josef Duchac, hatte den Kali-Kumpeln am Freitag morgen Hilfe versprochen. Alle Geschäfte des Ortes blieben am Freitag aus Solidarität geschlossen.
Am Sonntag morgen begannen die Tarifverhandlungen vor Ort. „Wir müssen hier zu einem Ergebnis kommen“, weiß Peter Witte, der Chef der Industriegewerkschaft Bergbau, Energie und Wasserwirtschaft. Er hofft, die Stillegung der Harz -Gruben noch so lange herauszögern zu können, bis sozial verträgliche Lösungen herauskommen. Gewinn können die Zechen, in die jahrelang nicht investiert wurde, kaum noch fördern. Die Über-Tage-Anlagen aus der Kaiserzeit wären ein Schmuckstück für jedes Industriemuseum. Einige Fördertürme stehen schon unter Denkmalschutz. Jetzt wehen auf ihnen schwarze Fahnen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen