■ Wochen-Post: Von Zukunftsfonds und Ratten
Tempo, Tempo! Das ist seit 1989 ein Leitmotiv aller Reden über Berlin. Es geht ja auch alles recht flott, jedenfalls in den wichtigen Dingen.
Die Krankenschwester in der Charité kriegt den gleichen Lohn wie die Kollegin im Steglitzer Klinikum. Die Angleichung der Gehälter im öffentlichen Dienst kam den Bediensteten viel zu spät und dem Dienstherren Berlin viel zu früh. Das ist die eigentliche Kunst: Zu früh. Zu spät! Politische Risiken in Berlin verstecken sich im Zeitpunkt, nicht im Tempo.
Zu früh kam der damalige Wissenschaftssenator Manfred Erhardt mit seiner Idee, die Hochschulen sollten die Pensionierungswelle, die in ein paar Jahren die Lehrstühle leer fegen wird, als Wechsel auf bessere Zeiten benutzen. Sie war so genial, daß sie im Nirwana der Alltäglichkeit verschwand. Jetzt Schnitte machen (und Kann-weg-Vermerke an die richtigen Stellen heften), zwischendurch bewegungsfähig bleiben, später sparen. So viel Zutrauen in die eigene Zukunft hatte damals keiner.
In letzter Minute erlebt dieser Vorschlag jetzt eine Wiedergeburt: „Zukunftsfonds“ heißt die Sache nun, und das ist ein Begriff, der mit seiner Mischung aus Betriebswirtschafts-jargon und Pathos gut in eine Zeit paßt, die solche wie Westerwelle in verantwortliche Posten läßt.
Zu früh kamen die Humboldtianer, die Bonn und Berlin aus der Verlegenheit erlösen wollen, was mit dem Schloßplatz geschehen soll. Natürlich ist die Humboldt-Universität der gegebene Nutzer für alles, was jemals „in der Kubatur des Stadtschlosses“ gebaut werden wird. Aber die Verlegenheit, die von diese Stelle der Stadt ausgeht, ist wohl immer noch nicht groß genug. Wenn der Palast erst mal als Stahlgerippe an der Spree steht, kann man das Offensichtliche, das unmittelbar Plausible, das Zwingende noch einmal vorschlagen, und dann, dann werden die, die den brillanten Vorschlag machen, die Helden des Tages sein, weil es dann alle sehen.
Und Klaus-Rüdiger Landowsky? Der fängt an, zu spät zu kommen, und das gibt Hoffnung, daß es vielleicht doch bald mal vorbei ist mit dem System Westberlin. „Ratten“, „Abschaum“ und „Gesindel“, das zieht nicht mehr. Die Rhetorik war schon in den siebziger Jahren nur noch Nachhut von etwas anderem. Dem Banker mit dem braven Seitenscheitel nimmt man den Lummer einfach nicht mehr ab, und zum Bluthund fehlt ihm das Format.
Weimar? Wo liegt das? Falsches Stichwort, falsche Referenzepoche. Tempo, Tempo, Berlin wird neu. Nicht nur gebaut, auch neu gedacht. Mechthild Küpper
wird fortgesetzt
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen