: Von Politik und Kultur, Männern und Frauen
■ Demasiado Seleccion — Zum Mammutprogramm der diesjährigen Lateinamerikatage
Iberé Gomes, heute im Quilombo Foto: Peter Grouchot
Kolumbus setzte vor 499 Jahren seinen Fuß auf eine Bahama-Insel, im Glauben, die japanischen Inseln betreten und den Westweg nach Indien entdeckt zu haben. Der Kontinent, den er auf seinen folgenden Reisen »entdeckte«, begeht nächstes Jahr ein zweifelhaftes Jubliäum. Zahlreiche Veranstaltungen und Aktivitäten in Europa und Nordamerika werden die 500-jährige Eroberung Lateinamerikas freundlich als »Begegnung der Welten« feiern. In den lateinamerikanischen Ländern jedoch bereiten verschiedenste Gruppen eine Gegenkampagne vor, die die Folgen der »conquista« und die Opfer, die sie bis heute fordert, in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stellen wird.
Die 5. Lateinamerikatage Berlin, initiiert vom Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika, wollen auf ihren Veranstaltungen diese Gegenkampagne vorstellen. Seit November letzten Jahres kamen Veranstaltungsangebote zahlreicher Solidaritätsgruppen und Arbeitskreise von Hohenschönhausen bis Schöneberg zusammen.
»500 Jahre der Unterdrückung und der Fremdherrschaft haben unsere Art, die Welt zu sehen und zu verstehen, unsere kulturellen und materiellen Reichtümer zerstört; aber sie haben nicht unsere Fährigkeit zu kämfen und Widerstand zu leisten erschöpft.« So formulieren die indianischen Frauen des Kontinents ihren Aufstand gegen die offizielle Feier. Ihnen galt der Auftakt der Lateinamerikatage am Donnerstag, und ihre Anliegen bilden auch bei den folgenden Veranstaltungen ein Schwerpunktthema. Eine Fotoaussstellung in der Galerie Olga Benario zeigt »Töchter Amerikas — Frauenalltag in El Salvador«. Diskussionsveranstaltungen zu der Ausstellung »Otro modo de ser« über mexikanische Frauenkultur, die im Juli in Mexiko und im Dezember in Deutschland eröffnet wird sowie Diskussionsforen zu Geschichte und Gegenwart des femininen Widerstands finden im Mehringhof, dem Nozizwe und der Schokofabrik statt.
Politik wird jedoch noch immer hauptsächlich von Männern betrieben, wie es auch das Mammutprogramm der Lateinamerikatage spiegelt. In der nächsten Woche gibt es vielfach die Gelegenheit, die politische Kultur verschiedener mittel- und südamerikanischer Länder unter die Lupe zu nehmen. Sandinistische Wirtschaftpolitik in Nicaragua, deutsche Konzerne in Brasilien, behutsame Stadterneuerung in Havanna und Bilanzen der Guerilla sind nur einige Themen der Vorträge, Workshops und Diskussionsveranstaltungen, zu denen Referenten und Gäste aus den jeweiligen Ländern eingeladen sind.
Ein Tag gegen Menschenrechtsverletzungen in Lateinamerika mit Video und Vorträgen aus Peru, Brasilien und Chile findet am Dienstag im Quilombo statt. Den Abschluß bildet das peruanische Theaterstück »Adios Ayacucho«, in dem ein Toter, ein im Krieg verschleppter Bauer aus dem Hochland, nach Lima reist, um seinen »verschwundenen« Leichnam von dem Präsidenten zurückzufordern. Neben der Theatergruppe Yuyachkani, die im Haus der Kulturen am Mittwoch ein weiteres Stück aufführen wird, sorgt der kolumbianische Schauspieler Julio Ardila für einen weiteren Kulturfleck auf der rein politischen Weste. Sein Stück »El Atajo« ist die Interpretation einer soziologischen Studie über das Kokaingeschäft.
Über die Verflechtung von Kultur und Politik informiert SUR am Sonntag: Den Eigenwert kultureller Veranstaltungen nicht als buntes, folkloristisches Beiwerk zu politischen Aktionen mißbraucht, möchte der Verein für internationalionen Kulturaustausch herausstellen. Pläne und Mitarbeit zur Unterstützung der Theaterkarawane der Internationalen Lateinamerikanisch-karibischen Theaterschule, die nächstes Jahr mit einer »desconquista« durch die lateinamerikanischen Lande ziehen will, ist das Ziel der Veranstaltung im Quilombo.
Bevor die Berliner Köpfe rauchen über Widerstand, Bananen, Guerilleros und Sozialismus, darf der Körper in Aktion treten: Am Samstag findet im Tempodrom ein Eröffnungskonzert mit dem Brasilianer Iberé Gomes und der Frauensalsagruppe Mujeres statt. Barbara Schäfer
Veranstaltungsdaten und -orte im LaVie- Tagesprogramm (weitere Informationen im Programmheft der Lateinamerikatage)
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