: Von Morden und Fjorden
■ Das neue Grauen: Die Horrorfilmproduktion in Skandinavien läuft nach dem Erfolg von "Nightwatch" auf Hochtouren. Auch auf dem Fantasy Filmfest gibt es Nord-Noirs zu sichten
Horror-Fans sind ein genügsames Völkchen. Jahr für Jahr pilgern diese treuen Seelen in ihren ausgefransten Slasher-Motiven zum Fantasy Filmfest, um sich am kontrollierten Grauen zu laben. Am Ende steht den meisten die Enttäuschung ins Gesicht geschrieben. Wieder kein Meilenstein dabei – das phantastische Kino steckt tief in einer Sinn- und Gestaltungskrise. Die spektakulären und skandalträchtigen Achtziger sind längst vorbei, und selbst in den USA, Italien oder Hongkong, eigentlich wichtige Koordinaten des Genres, wird meist nur noch Durchschnitt produziert.
Doch manchmal kommen sie wieder, die cineastischen Lichtblicke, die einen die Legende vom perfekten Mord und unschlagbaren Spezial-Effekt glauben lassen. 1995 war so ein Jahr, als sich das makaberste aller Filmtreffen wieder einmal über die Leinwand meuchelte, kam ein völlig unbekannter Regisseur namens Ole Bornedal daher und stellte sich mit nur einem Film der etablierten Horrorwelt in den Weg. In Nightwatch erfand der dänische Regisseur das Kino nicht neu, aber wandte seine Mittel besser an als alle anderen, indem er viele Trademarks des modernen Grauens ohne Punkt und Komma aneinandersetzte: Ein netter Student, der aus Thrill in einer Leichenhalle jobbt, gerät in einen Strudel aus Verrat, Serienmord und Nekrophilie.
Nightwatch, so der Titel dieses Meilensteins, hatte eine Initialwirkung – denn seitdem gilt der skandinavische Thriller als hip, wobei dessen spezifischer Reiz bislang noch nicht geklärt wurde. Vielleicht liegt es daran, daß es keine nennenswerte landeseigene Fachtradition gibt, auf die sich ein Mann wie Bornedal hätte berufen können. Südeuropäische Thriller sind irgendwie immer katholisch, die tschechischen seit jeher märchenhaft, und in Frankreich paart sich schwülstiger Lifestyle stets mit sexueller Obsession. Bornedal hingegen machte Mord ohne Mätzchen, inszenierte einen Liebesakt in der Leichenhalle ebenso trocken wie die Morde, die sich unweigerlich anschlossen. Daß sich der Regisseur unlängst überreden ließ, unter dem Titel Freeze das Remake für ein amerikanisches Studio in Szene zu setzen, ist mehr als eine Randnotiz. Es zeigt, welchen Stellenwert Skandinavien einnimmt. Auch auf dem diesjährigen Fantasy Filmfest ist der nordische Film reichlich vertreten. Neben dem norwegischen Cop-Reißer Blessed Are Those Who Thirst und dem ein bißchen zu pädagogischen dänischen Sekten ist vor allem die Exorzisten-Oper Isle Of Darkness vielversprechend. Augen auf, sonst steht es hinter dir, das neue Grauen: der Nord-Noir.
Oliver Rohlf
Blessed Are Those Who Thirst: Sa, 22. August, 18.15 Uhr, Cine-maxx 3. Sekten: Sa, 22. August, 22.45 Uhr, Cinemaxx 2. Isle Of Darkness: Mo, 24. August, 16 Uhr, Cinemaxx 3; Di, 25. August, 22.45 Uhr, Cinemaxx 2
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