: Von Kopf- und Fußarbeit
Nach dem 0:2 beim FC St. Pauli zeigt sich Freiburgs Trainer Volker Finke unzufrieden mit dem, „was da unten passiert“ ■ Aus Hamburg Clemens Gerlach
Als erster verläßt Martin Spanring das Spielfeld. Eiligen Schrittes macht sich der Manndecker des SC Freiburg auf den Weg zu den Umkleidekabinen – wortlos. Kein Fluchen oder Lamentieren kommt über seine vollen Lippen. Der junge Mann hatte Wichtigeres zu tun, als sich über die sechste Auswärtsniederlage dieser Saison aufzuregen. Zuerst müssen noch im Gehen die dunklen, halblangen Haare wieder nach hinten gestreift werden, schließlich ist man als Latin Lover eine Person der Öffentlichkeit. Die Frisur sitzt, Spanring geht es besser.
Kurz hinter ihm nähert sich Mannschaftskamerad Maximilian Heidenreich. Der ist gänzlich vergrämt. Kurz das Haupt geschwenkt, sonst nichts. Schon so resigniert, daß es nicht mehr zu einem ordentlichen Kopfschütteln langt? Mal sehen, was Alain Sutter macht, der gerade in Sichtweite kommt. Erst einmal einen guten Eindruck. Gepflegter Mehr-Tage- Bart, ordentlicher Haarzopf. Und das Trikot des Schweizer Ich-will- nun-doch-nicht-Nationalspielers mit der Allergie gegen's Grätschen? Kaum schmutzig, nahezu blütenrein das Leibchen. Hätte man problemlos ungewaschen in den Schrank zurücklegen können.
Ja, so sind die Freiburger: Jederzeit darauf bedacht, den Ruf des Breisgau-Brasilianers zu verteidigen. Wenn es schon auf dem Platz nicht läuft, will man wenigstens hübsch aussehen. Auch deshalb ist der SC ein überall willkommener Gast: Tritt selbst bei einem Rückstand nicht wild in die Botanik und läßt am Ende die Punkte da. Trainer Volker Finke findet das bisweilen zwar ein wenig zu altruistisch, mag aber grundsätzlich nichts Schlechtes über die Einstellung seiner Mannschaft sagen. Selbst als „total genervter“ Übungsleiter eines Vorletzten nicht. Nein, am Engagement habe es nicht gelegen, daß der SC auch am Millerntor nichts zu bestellen hatte. Sondern: „Weil es zwischen Kopf und was da unten passiert, nicht geklappt hat.“ Das bekannte Dilemma: Zuviel Pomade und Haargel, rutschige Stollen – so sind schon etliche Spiele verlorengegangen.
Mit Flitter und Tand hat Finkes Kollege Uli Maslo nichts am Hut. Das Konzept des ältesten Bundesligatrainers ist äußerst simpel, wenngleich der 58jährige es gern als größte Innovation seit Erfindung der Schraubstolle lobt: Einsatz, Einsatz und noch einmal Einsatz. Mehr verlangt der sekundärtugendhafte Fußballehrer nicht, dem „die Bekämpfung des Gegners“ über alles geht. Denn: „Wer jammert, schwächt sich selbst.“ Seine „heißen Burschen“ hielten sich daran. „Wir sind teilweise niedergekämpft worden“, hatte nicht nur Finke erkennen müssen, daß gefälliges Kombinieren und galante Ballstafetten wahrscheinlich nicht die geeigneten Mittel sind, um im Abstiegskampf zu bestehen.
„So wie wir jetzt spielen, wird es schwer, die Bundesliga zu halten“, zeigte sich Freiburgs indisponierter Torjäger Harry Decheiver später treffsicherer als während der „harten Schlacht“, wie sein Gegenspieler Stephan Hanke das Kellerduell empfunden hatte. Selbst eine umstrittene Entscheidung von Schiedsrichter Jürgen Aust hatte den FC St. Pauli nicht aus der Spur gebracht. Kurz vor der Pause war Dieter Frey wegen einer Notbremse schon vom Platz gestellt worden, ehe der Schiedsrichter- Assistent seinen Vorgesetzten auf eine vorherige Abseitsposition aufmerksam machte. Der Unparteiische aus Köln nahm seine Entscheidung zurück – „zu Recht“, wie Uli Maslo danach urteilte.
Volker Finke mochte sich über die für seine Mannschaft letztlich erfreuliche Episode gar nicht auslassen. Warum auch? Für neue Motivation hatte sie nicht gesorgt, seine Spieler wirkten schon vor der Pause so, als ob sie aufgegeben hätten. Die wenigen „sehr, sehr großen Chancen“ hatte Decheiver verpulvert, der Rest erstarb in Schönheit. Was jetzt noch helfen könnte, wäre eventuell ein Rückgriff auf urbadische Rituale. In der nächsten Vollmondnacht halten die Freiburger an der Dreisam ein Mannschaftstreffen ab. Alle Langmähnigen werden vom Schützen des letzten Auswärtstreffers kahl rasiert, die Haare als Unglücksbringer an die Konkurrenz verschickt. Für Sutter & Co. ist das ohne Risiko. Der Bart ist ohnehin fast ab.
SC Freiburg: Hummel - Müller, Spanring - Heidenreich - Korell, Frey, Zeyer, Sutter, Freund (68. Wagner) - Spies (46. Jurcevic), Decheiver
Zuschauer: 19.900; Tore: 1:0 Pisarew (22.), 2:0 Driller (79.)
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