■ Ob auf Sahnebonbons oder Silberlöffelchen: Weimar ist: Von Goethe umzingelt
Herzlich willkommen in der Dichterstadt Weimar. Aber wenn's um Goethe geht, dann bitte nur in Maßen. Der ist vom überwältigenden Besucheranstrom im Grunde völlig abgelatscht und verträgt den ganzen Rummel nicht mehr. Das Geschäft mit Goethe boomt. Kaum eine Straße, in der nicht auf irgendeiner Kneipe sein Name, kaum ein Schaufenster, in dem nicht sein Konterfei prangt. Ob auf Sahnebonbons oder Silberlöffelchen, der markante Zinken macht sich einfach überall gut.
Eine lange Nase hingegen gibt's für die, die dem Meister wirklich nahe rücken und einen Blick auf Goethes Schreibtisch riskieren wollen. Die alten Balken seines Wohnhauses waren zwar auf Goethes Schnallenschuhe, nicht aber auf die rund 300.000 Paar Touristenfüße geeicht, die jährlich darüberschlurfen. Nun sind Touristenbändiger gefragt. Sie wollen das Kernstück der Weimarer Klassikerstätten vor Luftfeuchtigkeit schützen, die wilde Horden transpirierender Kulturbeflissener seit der Wende in die Höhe treiben. Treibhauseffekt bei Goethe – es reicht. Um das Erbe des Dichters und Staatsministers zu retten, haben sich die Denker in der ehemaligen Residenzstadt einiges einfallen lassen. So herrscht in Goethes Haus endlich wieder Planwirtschaft: 800 Menschen dürfen täglich rein. „Ausverkauft“, straft ein Schild alle, die zu spät kommen.
Die gehen dann entweder einfach ins nächste Goethe-Café. Oder aber sie spüren dem Geist des Maitre de plaisier dort nach, wo ihn schon Thomas Mann zu schnuppern glaubte, als er seine eigene Lotte in Weimar einquartierte: im Hotel Elephant, in dem sich Mann im Mai 1955 nach der Wiedereröffnung als erster mit lila Tinte ins Gästebuch eintrug.
In diesem Hotel, so sagt man, speiste Goethe schon mit seinen Gästen. Und auch wenn es nur noch der 300 Jahre alte Keller ist, der originalgetreu an die literarischen Elefantenrunden erinnert, so meinte man, Goethes Geist hier nah zu sein. Doch der beschränkt sich selbst hier lediglich auf die klassische Hotelbibliothek. Seine Schutzbefohlenen setzen auch hier alles daran, Pilgerer vom Pfad seines Wohnhauses abzubringen – mit PR für seinen Nachbarn.
„Lobenswert“ soll er sein, der Besuch im Hause Schiller. Und leichter allemal: Schillers bescheidenes Häuschen ist – im Gegensatz zu dem des Dichterfreunds – wenigstens durch ein Schild kenntlich gemacht. Und draußen bleiben muß auch keiner. Während der Weimarer mit Genugtuung sieht, daß durch derartige Listen hinter dem Erbe vom schillernden Goethe auch der Schiller nicht vergeht, wittert mancher Besucher etwas anderes: daß nämlich Schiller die Last des Dichterfreunds tragen und den Goethen mittels Umleitung nun entlasten soll. Anlieger frei bis Goethehaus, und Frieden seiner Hütte. Warum auch nicht?
Denn was kann die schon bieten, was Literaturbeflissene nicht längst auf andere Weise erstürmt hätten. Mittels einer CD-Rom zum Beispiel, die in den Weimarer Buchhandlungen den Alltag mit Goethe verspricht. Den kann sich, wer will, mit in die eigene Hütte nehmen und dabei transpirieren, soviel er will. Und er kann der Goethe-Stadt Weimar ganz unverkrampft ins Antlitz schauen – mit der Haltung: Weimar statt Goethe. Antje Passenheim
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