Von Bahnhöfen und Flughäfen: „Deutsche Basta-Politik bringt nichts“
Der Mediator Horst Zillessen über ahnungslose Politiker, Störenfriede, die Arroganz der Macht und wie Großprojekte besser kommuniziert werden könnten.
taz: Herr Zillessen, Manager des neuen Berliner Großflughafens und ihre Kontrolleure – die beiden Landeschefs Klaus Wowereit und Matthias Platzeck – hatten nicht den Mumm, dem Steuerzahler früh zu sagen, dass die Eröffnung verschoben wird. Verkraftet der Bürger die Wahrheit nicht?
Horst Zillessen: Wenn er rechtzeitig offen und ehrlich informiert wird, hat er damit kein Problem. Dass die Eröffnung des Flughafens an den Vorschriften zum Brandschutz scheitert, ist aber für Außenstehende nicht nachvollziehbar. Brandschutz ist Handwerk, wird lange Zeit im Voraus geplant. Da kann man nur mit dem Kopf schütteln.
Müssen Politiker in so einem Fall gehen?
Es geht doch um etwas viel Grundsätzlicheres: Politiker müssen Bürger ernster nehmen, sie in Entscheidungen über den Bau von Straßen, Flughäfen, Bahnhöfen mit einbeziehen. Das machen sie aber nicht, weil sie noch immer einem Obrigkeitsdenken früherer Prägung verhaftet sind.
Das sagen Sie, weil Sie mit Mediation Geld verdienen wollen?
Sicher ist Mediation nicht umsonst zu haben; bei einer Mediation haben Sie über viele Monate hinweg regelmäßige Forumssitzungen, die von einem Mediationsteam vorbereitet und geleitet werden. Wenn Bürger aber Planer zwingen, ein großes Bauvorhaben zwischenzeitlich stillzulegen und den Streit vor Gericht auszutragen, wird das viel teurer. Mit deutscher Basta-Politik kommt man nicht weiter. Österreich macht es besser.
Österreich?
Die Arroganz der Macht ist hier weniger ausgeprägt, die Politik näher am Volk. Vielleicht liegt es daran, dass das Land kleiner ist und die Distanz zwischen den Bürgern und den Politikern nicht so groß.
Das heißt konkret?
Gegen die dritte Startbahn des Wiener Flughafens waren am Anfang natürlich auch viele Anwohner. Der Flughafen hat versucht, den geplanten Ausbau mit zusätzlichen Arbeitsplätzen zu begründen. Jede zusätzliche Million Passagiere bringe tausend zusätzliche Jobs. Das hat die Gemeinden aber nicht überzeugt. Dann gab es über vier Jahre lang eine Mediation.
Immer wieder führen Großprojekte zu Ärger zwischen Bürgern und Politik. Hier zwei Beispiele, bei denen der Streit schon besonders lange andauert:
Phantasialand, Brühl: Deutschlands bekanntester Vergnügungspark, jährlich 2 Millionen Besucher, bisher 28 Hektar Fläche, will sich vergrößern. Die Autobahn 553 im Süden und Wohngebiete im Norden und Osten machen eine Erweiterung in diese Richtungen nahezu unmöglich. Und im Westen liegt der Konfliktgrund: das Waldseengebiet Ville, Teil des Naturparks Rheinland und Naherholungsgebiet. 20 Hektar Staatswald müssten gerodet werden.
Ohne Vergrößerung drohe mittelfristig die Pleite, argumentiert Phantasialand. Für „maßlos übertrieben“ hält das die Bürgerinitiative 50TausendBäume. Sie schlägt vor, Parkplätze umzuwidmen und die Autos der Besucher in Parkhäusern zu „stapeln“.
Vor neun Jahren hat Phantasialand die Erweiterung bei der Bezirksregierung Köln beantragt. In einen Anfang 2009 gegründeten „Arbeitskreis Erweiterung Phantasialand“ sind weder die Bürgerinitiative 50TausendBäume noch die Naturschutzverbände berufen worden.
Nationalpark, Nordschwarzwald: Er soll der erste Nationalpark Baden-Württembergs werden, eine 10 mal 10 Kilometer große Fläche Wildnis. Der Mensch müsste sich aus dem Kerngebiet ganz zurückziehen, auf bestimmten Wegen ließe sich zwar spazieren, aber bei einer Borkenkäferplage dürfte beispielsweise niemand eingreifen.
Der Käfer ist das Argument der Gegner, die sich im Verein Unser Nordschwarzwald zusammengetan haben. Die Holzwirtschaft und Jobs gingen den Bach runter. Wildnis - das stehe doch für Naturerlebnis und Abenteuertourismus, meinen hingegen die Befürworter vom Verein Freundeskreis Nationalpark Schwarzwald.
Die Idee für den Nationalpark ist gut 20 Jahre alt, scheiterte aber bisher am Widerstand vor Ort. Die grün-rote Landesregierung hat einen neuen Anlauf versprochen und einen „offenen Dialog“ mit den Leuten vor Ort. (hg)
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Horst Zillessen, 74, ist hauptberuflicher Vermittler in Konfliktsituationen. Er hat etwa Mediationen zum Ausbau der Bahnstrecke im Gasteinertal in Österreich sowie zum Ausbau des Flughafens Wien mit geleitet. Zillessen ist Politikwissenschaftler. Bis 1986 war er Präsident der Universität Oldenburg, danach dort Professor für Umweltpolitik und Umweltplanung. Heute ist Zillessen einer der Geschäftsführer einer Agentur, die sich auf Mediationsverfahren für Großprojekte spezialisiert hat.
Und?
Am Ende des Verfahrens gab es einen Vertrag über den Bau der dritten Piste: Der Flughafen hat sich bereit erklärt, Hausbesitzer in unmittelbarer Nähe so zu entschädigen, dass sie sich in einiger Entfernung neu ansiedeln konnten. Er hat im weiteren Umkreis schallgeschützte belüftete Fenster bezahlt, was ihn weitere Millionen Euro gekostet hat. Es wurden neue An- und Abflugrouten definiert, die die nahe gelegenen Orte lärmmäßig entlasten. Die Gemeinden haben im Gegenzug in den stark durch Lärm belasteten Zonen Bauverbote erlassen.
Die Grünen waren trotzdem gegen die Piste!
Aber in Berlin wurden Flugrouten und Lärmbelastung erst gar nicht mit den Anwohnern besprochen. Im Gegenteil: Ihnen wurde zunächst vorgemacht, sie seien gar nicht betroffen.
War der Wiener Flughafen ein Einzelfall?
In den neunziger Jahren erlebte Österreich sein Stuttgart 21. Die Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) AG wollte die Bahnstrecke durch das Gasteinertal in den österreichischen Alpen zur Hochleistungsstrecke ausbauen, was den für die Region lebenswichtigen Tourismus bedrohte.
Wir bauen Brücken, die sind 1 Kilometer lang, 60 Meter hoch und sehen fantastisch aus, soll ein ÖBB-Vertreter Anwohnern gesagt haben. Ein anderer erklärte, dass eine Mahler-Sinfonie ja auch Krach mache.
Die Mediation hat eineinhalb Jahre gedauert. Nun fahren die Züge durch viele Tunnel und nicht nur über Brücken.
Ist Mediation nicht eher eine Modeerscheinung?
In Deutschland leider nicht mal das! Viele Politiker haben das Verfahren bei der Startbahn West in Frankfurt Ende der 90er Jahre Mediation genannt, aber es war keine. Diejenigen, die das Verfahren geleitet haben, waren keine ausgebildeten Mediatoren …
… aber erfahrene Leute: der SPD-Politiker und einstige Präsident des Europäischen Parlaments, Klaus Hänsch, der damalige IHK-Präsident Frank Niethammer und der Pfarrer Kurt Oeser.
Natürlich honorige Leute mit viel Moderationserfahrung, aber ohne jede Ausbildung und Erfahrung in Mediation!
Der Misserfolg lag doch eher an der Politik!
Sicher die „Mediationsgruppe“ einigte sich darauf, dass die Piste gebaut werden soll, wenn die Anwohner ein Nachtflugverbot bekommen. Und kurz vor Baubeginn genehmigte die damalige CDU-Regierung unter Roland Koch dann 17 Flüge pro Nacht.
Politikern wird Kompromissbereitschaft eben gern als Einknicken angelastet. Wie kommen die da raus?
Es geht in der Mediation nicht um Kompromisse, sondern darum, Wege zu finden, wie man zu Ergebnissen kommt, denen alle mehr oder weniger zustimmen können.
Verlierer wird es immer geben.
Am Ende kann natürlich jemand sagen: Ich bin zu kurz gekommen. Aber immerhin – man kann das Übel minimieren.
Es gibt doch rechtliche Grundlagen zur Bürgerbeteiligung. Sind die nichts wert?
Sie sind so lange nichts wert, wie die Politiker die Möglichkeiten nicht ausschöpfen. Dabei geht es ja vielfach nur um die Vorbereitung von Entscheidungen. Die Entscheidungsfindung und die Umsetzung liegen nach wie vor meist bei Politik und Verwaltung. Durch Mediation können Planungsprozesse kürzer werden, weil weniger Leute später klagen. Freilich, viele Politiker wie der hessische Verkehrsminister Dieter Posch sind offenbar völlig ahnungslos in Bezug auf Mediation.
Wieso CDU-Politiker Posch?
Er hat Anfang Mai die Mediation in der FAZ zwar als anerkanntes Instrument der Streitschlichtung beschrieben, dafür aber ausgerechnet Stuttgart 21 als Beispiel genannt.
An dem milliardenschweren Bahnhofsprojekt versuchte sich CDU-Politiker Heiner Geißler erfolglos.
Das war vor allem alles andere als Mediation. Die Entscheidung war längst gefallen und bereits im Prozess der Umsetzung, als die Bürger aufbegehrt haben.
Geplant, beschlossen, blockiert – interessieren sich die Bürger heute einfach mehr als früher?
In den siebziger Jahren gründeten sich doch schon Bürgerinitiativen. Damals warnte der SPD-Politiker und damalige Bauminister Hans-Jochen Vogel vor Kräften in diesen Zusammenschlüssen, die das System unserer Gesellschaftsordnung sprengen, vorrevolutionäre Massenbewegungen in Gang bringen wollten. Der Bürger als Störenfried, so sehen das viele bis heute: Er wird nicht beteiligt an der Lösung, sondern gilt als Teil des Problems.
Könnten Sie mit Bürgerbeteiligung auch ein Atommüllendlager finden?
Zumindest ist die Grundidee klar: Man sollte eine „Findungsgruppe“ zusammensetzen aus Politik, Verwaltung, Wissenschaft, Bürgerinitiativen und Umweltorganisationen, die bundesweit prüft, welche Standorte geeignet sein könnten. Dann sollte die Gruppe mit den Bürgern vor Ort Diskussionen führen, um das Für und Wider der einzelnen Standorte abzuklären. Schließlich müsste die „Findungsgruppe“ in einem Diskussionsprozesss mit Vertretern der unterschiedlichen Standorte den bestmöglichen Standort zu finden versuchen.
Aber da kann man Anwohnern keine Radioaktiv-Schutzfenster einbauen …
Es kann nur ein Standort infrage kommen, der diese Notwendigkeit ausschließt.
Haben Politiker schon mal bei Ihnen angeklopft?
Im vergangenen Jahr haben wir versucht, Umweltminister Norbert Röttgen zu kontaktieren. Es hat ein Gespräch einer seiner Mitarbeiterinnen mit einer Kollegin von uns gegeben – ohne weitere Reaktion.
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