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Von Adel, Armut und anderem

DFB-Pokal-Halbfinale: Dynamo Dresden – Werder Bremen 0:2 / Ängstliche Elbestädter unterliegen routinierten Weserkickern  ■ Aus Dresden Peter Tietze

1. Die Dose. Im Prinzip unschuldig, leichtgewichtig – wenn auch, da sind wir politisch korrekt, ökologisch unverträglich – also eben jene Büchse ist nicht als Wurfgeschoß (mangels Masse) einzusetzen. Zumindest solange sie nicht gefüllt ist. Mit Bier, versteht sich. Der kluge Fan sorgt vor, vernichtet gefüllte Büchsen kurz vor dem Stadioneingang, um den Gerstensaft nicht der Gefahr einer Konfiszierung durch die Ordner auszusetzen. Der Verschwendung von Grundnahrungsmitteln als Unmutsäußerung muß vorgebeugt werden.

2. Die Pinkelpause. Das angesammelte Gesöff geht den Weg alles Irdischen. In der Pause gibt es das beliebte Kollektivpinkeln am Stadionzaun in Richtung Park. Wie die Perlen an einer Kette stehen dann rund 150 schöne Männer und schiffen in die Natur.

3. Das Feuerwerk. Das konsumierte Bier treibt nicht nur die Blase zu ungeahnten Höchstleistungen, auch das Gehirn, oder die Reste davon, wird stimuliert. Dem Frust über die kurz bevorstehende Niederlage muß Lauf gelassen werden. Sei es über „Knallkörper“ oder über ganz normale Raketen. Gelegentlich führt das zu Sperren für bestimmte Wettbewerbe auf Jahre hinaus oder, und das ist dann die harmlosere Variante, zu Spielabbrüchen.

4. Das Spiel. Trostlos, so wie mancher Fan nach dem Spiel in die Gegend stierte, war auch das Spiel anzusehen. Da half den Dresdnern auch das neue Trikot nicht, eine Art gelb-schwarzer Schottenrock mit zugenähtem Schritt. Selbst das Gesetz der Serie – die Dresdner hatten die letzten zwölf Pflichtspiele nicht mehr verloren – läßt sich mit einer derart ängstlichen Mannschaft nicht nutzen.

Die technischen Fehler der Elbestädter waren schon in den Anfangsminuten nicht zu übersehen. Entweder war es die Angst vor den Adeligen aus dem Reiche von König Otto und Herzog Anderl oder die pure Unfähigkeit, die die Sachsen den Versuch starten ließ, die Bremer Abwehr ausgerechnet mit hohen Flanken in den Strafraum zu überwinden. Diese glanzvolle Idee, die in der zweiten Halbzeit nicht etwa aufgegeben, sondern verstärkt bemüht wurde, gegen eine anerkannt kopfballstarke Abwehr erinnerte an den aufopferungsvollen Kampf von Don Quijote. Die Weserstädter bereinigten ein ums andere Mal (nicht schön, aber effektiv) die Situation. Der Libero der Bremer, der Norweger Rune Bratseth, blieb trotz erheblichen Gebärstresses immer wieder Sieger gegen Spieler, die bis zu zehn Jahre jünger sind als er. Routiniert, schnell und unterstützt von seinem Kollegen Dietmar Beiersdorfer erwies er sich für die Dresdner als unüberwindlicher Windmühlenflügel.

Zwei Tore bereits in der ersten Halbzeit durch Rufer und Neubarth entschieden das Spiel. Danach hatten die Bremer keine Mühe mehr, die Partie ruhig und gelassen, gelegentlich etwas zeitschindend über die Runden zu bringen. Nur zweimal kam es noch zu einem kurzen Aufruhr im Stadion. Einmal, als der eingewechselte Marek Penksa ganz allein vor dem Tor der Bremer stand und den Ball bloß an den Pfosten köpfte; das andere Mal, als die Zuschauer mit Knallern und Raketen einen nicht gegebenen Elfmeter forderten. Die Bremer spielten nicht schön, gaben dafür aber gelegentlich sehr überzeugend den sterbenden Schwan. Was von Schiedsrichter Assenmacher freistoßmäßig goutiert wurde. Nach dem Spiel wurde vom Trainer der Dresdner, Siegfried „Sigi“ Held, die relative Bedeutungslosigkeit des Spieles für seine Mannschaft hervorgehoben. Im Falle eines Sieges hätten die Sachsen sowieso nicht im Europapokal der Pokalsieger spielen dürfen. Wegen Ausschreitungen und „Knallkörpern“ beim Spiel gegen Roter Stern Belgrad 1991 waren die Gelb-Schwarzen für zwei UEFA-Wettbewerbe gesperrt worden.

5. Der Präsident. Rolf-Jürgen Otto, schwergewichtiger Unternehmer und Präsident von Dynamo Dresden, verteidigt „seine“ Fans. „Absolute Sicherheit hatten sie hier 40 Jahre. Wollen sie das etwa wieder so haben?“ Die Hilflosigkeit der Sachsen angesichts der nicht zu umgehenden Pflichtrituale und des grausamen Spieles war nicht zu übersehen.

Werder Bremen: Reck - Bratseth - Beiersdorfer, Votava - Wolter, Wiedener, Herzog (68. Schaaf), Neubarth, Legat - Hobsch, Rufer (90. Harttgen)

Tore: 0:1 Rufer (18.), 0:2 Neubarth (37.); Zuschauer: 29.000

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