: Vom Wühlen in nassen Schöpfen
■ Preisfrisieren in der „Glocke„/ Ein Handwerk begeht seinen Feiertag / Coiffeur-Service hilft
In den Glocken-Saal ragt eine lange Rampe, mit einer Reihe Spiegeltischen drauf und buntem Volk, im Tunfall mit Bürsten und Kämmen in nassen Haaren wühlend, im Leidensfall sitzend mit Gleichmut. Bauschekleidchen sieht man, Overalls und überaus schmiegsam Gestricktes, vor allem aber sieht man Haarschöpfe, mit Fleiß verwehte, getürmte oder zierlich gerupfte; Werke sind darunter von durchaus entschiedener Formgebung. Im Saale herrscht eher die Gebrauchsfrisur, nicht ohne feiertäglichen Pfiff, und es ist kein krummes Haar, welches nicht jemand mit Vorsatz gekrümmt hätte. Sonntag ist; in der „Glocke“ begeht das Bremer Frisör -Handwerk mit Stolz und vollem Recht seine Landes -Meisterschaft.
Ich darf eine Weile auf dem Podium sitzen, neben dem Moderator, bis er Zeit für mich hat. Er nutzt die Gelegenheit, begrüßt mich lauthals von wegen Lokalpresse und fordert das Publikum auf, heftig zu klatschen. Ein Mann und eine Frau klatschen heftig, sonst niemand. Herr Warnecke, der Moderator, vertritt den Haarwasser-Konzern -krchzz- und findet das nicht sonderlich der Rede wert. „Alle Unternehmen haben“, sagt er, „ihren Coiffeur-Service.“ Er, Warnecke von -krchzz-, er zieht, weil
begabt und gefragt, umher, stadtauf und landab, und moderiert, was alles so anfällt, im Namen von -krchzz-. Erregt das nicht die Mißgunst der Konkurrenten? „Ach nein“, sagt Warnecke, „sehen Sie mal, dort auf den Tischen stehen nur Sprays der anderen, nichts von uns, und niemand regt sich auf.“
Auf dem Steg arbeitet die Abteilung Drittes Lehrjahr mit Hin
gabe. Köstliche Haargebilde entstehen. Ich muß ein wenig seufzen ob meines beliebigen Behangs. Musik stampft strahlend und macht den Saal weit. Eine Frisöse modelliert mit Rundbürste und Fön an einem seitwärts übergeworfenen Pagenschopf; ein Kollege kreiselt Schwung auf ein Hinterhaupt; daneben steilt einer feuerfarbene Strähnchen auf, und wunderlich ruckeln überall die
Köpfe unter den Händen. Es ist ein unaufhörliches Rupfen und Tupfen, Reiben, Bürsten und Kneten; die Bühne, auf der sich ein grundsolides Handwerk so schön wie irgend möglich macht, diese Bühne ist aufs Deutlichste sexualisiert. Alle tragen ausgesuchte Kostüme dort oben. Oft sind sie aufreißerisch frech und zugleich mit einem Anhauch von Glamour veredelt. Alle bieten
sich an, feierlich aufgeregt.
Im Kleinen Glocken-Saal nebenan werden historische Frisuren vorgeführt. Königinnen wandeln in gravitätischen Roben, das Haar zu pompösen Gebinden aufgeschnatzt. Das war die größere Zeit. In umliegenden Räumen hat sich heutige Zulieferindustrie angesiedelt. Die Wände sind beklebt mit glänzenden Frisurenpostern, vertrieben von der Agentur -krchzz-, welche dem interessierten Salon verspricht, daß die von ihm georderten Schaufensterbilder keinem anderen Geschäft in der Nähe verkauft werden. Stände gibt es mit preiswertem Geschmeide, mit Modemagazinen und Einrichtungsbedarf. Auch hier sind alle Menschen gut frisiert. Ich erkenne eine Frau wieder. Sie war eben als Modell auf der Bühne. Wie ist sie dazu gekommen? Ein Mädchen hatte sie angesprochen, sie lacht, „bei McDonalds“. So ward eine kurze gemeinsame Zeit gestiftet, zwei Wochen Training, die Aufregung des Turniers, und nun? „Ich wollte es halt mal gemacht haben“, sagt Sylke. „Ein zweites
Mal nicht“, achselzuckend. Das Interesse an Veranstaltungen solcher Art ist unter Jugendlichen nicht mehr sonderlich groß. Im letzten Jahr konnten noch hundertfünfzig, in diesem nur noch hundert TeilnehmerInnen gewonnen werden. Gründe dafür wollen niemandem so recht einfallen.
Es piept im Großen Saal, die Zeit ist um für die Abteilung Drittes Lehrjahr. Die Modelle bleiben allein auf der Bühne zurück. Der Discjockey schwemmt wieder Musik in den Saal, und, befeuert vom Moderator, präsentieren sich, einmal den Steg auf und ab schreitend , die Frisierten. Aus dem Saal blickt es genüßlich, und dann stellt sich doch bei manchem unter den Lampen das dazugehörige Fieber ein, und der beherzte Gang gerät etwas rehbeinig. Einer geht als Base -Baller, breitschultrig und gepolstert, eine ist aufgemacht mit halbseidenem Schleierwerk, und der mit dem trendgemäßen Pagenkopf ist, zeigt sich, ein Soldat. In Oliv gewandet, trägt er eine imposante Donnerbüchse über der Schulter. scha
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