Vom Whistleblower zum Faustpfand: Manning soll gegen Wikileaks aussagen
Der inhaftierte Exsoldat Bradley Manning soll Hafterleichterung bekommen, wenn er den Wikileaks-Gründer Assange als Anstifter der Enthüllungen outet.
WASHINGTON taz | Die mutmaßliche Hauptquelle der jüngsten Wikileaks-Veröffentlichungen mutiert für die US-Behörden offenbar von einer Bedrohung zu einem Faustpfand: Der Exsoldat Bradley Manning, der wegen Verdachts auf Geheimnisverrat in Isolationshaft in einem US-Militärgefängnis sitzt, soll nach britischen Medienberichten Schlüsselfigur werden, um Wikileaks-Gründer Julian Assange juristisch zu Fall zu bringen. Nach einem Bericht des "Independent" versucht die US-Justiz, den 22-Jährigen als Belastungszeugen gegen Assange zu ködern. Für den Fall, dass er den Wikileaks-Gründer als Anstifter der Enthüllungen outet, sollen Mannings Hafterleichterungen oder die Verlegung in ein Zivilgefängnis angeboten worden sein.
Gleichzeitig mehren sich Vorwürfe über inhumane Bedingungen, unter denen der Whistleblower seit über einem halben Jahr festgehalten wird. Freunde und Zeugen erklärten etwa dem Magazin "Salon.com", dass Manning Haftbedingungen ausgesetzt sei, die an Folter grenzten. Es gehe ihm gesundheitlich nicht gut. Ein Leutnant der Armee, Brian Villiard, kritisierte gegenüber dem Magazin, dass Mannings Haftbedingungen zu langfristigen psychischen Schäden führen könnten. Der auf früheren Fotos kindlich wirkende junge Mann sei seit seiner Festnahme in Einzelhaft. Er verbringe jeden Tag mit Ausnahme einer Stunde allein in seiner Zelle. "23 von 24 Stunden am Tag sitzt er dort allein", erklärte Autor Glenn Greenwald im Radiosender "Democracy Now" . "Er darf dort noch nicht einmal Sportübungen machen. Er wird ständig beobachtet, und wenn er doch Übungen macht, wird er umgehend aufgefordert, aufzuhören."Dem Häftling würden selbst Kopfkissen oder Bettlaken verwehrt. Täglich werde für etwa 15 Minuten ein Fernseher vor seine Zelle geschoben. Zwar seien die Zustände nicht wie in einem Gefängnisfilm, "wo man jemanden einfach ins Loch wirft", erklärte Armeeleutnant Villiard, sie seien aber unhaltbar. Manning habe sich bisher als Musterhäftling gezeigt und keinen Anlass zu dieser Behandlung gegeben, so Mannings Unterstützer. Weder das Pentagon noch die Justizbehörden haben dazu bisher eine offizielle Stellungnahme abgegeben.
Obwohl dem früheren Irak-Soldaten Manning bislang nicht nachgewiesen wurde, dass er tatsächlich die Quelle der "Cablegate"-Dokumente war, sitzt er seit fünf Monaten im Armeegefängnis Quantico. Vorher wurde Manning zwei Monate in Kuwait festgehalten. Er hatte zu Jahresbeginn gegenüber einem befreundeten Hacker damit geprahlt, dass er 260.000 diplomatische Depeschen an Wikileaks gegeben habe. Während seiner Stationierung als Computeranalyst in Bagdad habe er die Informationen aus dem Diplomatennetzwerk gezogen. Der Hacker zeigte ihn an, was zu Mannings Festnahme führte.
Wie der "Independent" berichtet, zielen die US-Behörden nun darauf ab, Manning als Kronzeugen zu benutzen. Sie wollten ihn zu der Aussage bringen, dass Assange ihn zu dem Datendiebstahl angestiftet hat. Davon versprechen sie sich Assanges Auslieferung und die Chance, ihn vor Gericht zu stellen. Es habe sich bereits eine Grand Jury formiert, um die Anklage vorzubereiten. Assange war am Vortag nach neun Tagen auf Kaution aus der Haft in London entlassen worden. Bis zum nächsten Gerichtstermin, bei dem vermutlich über seine Auslieferung an Schweden entschieden wird, steht er unter Hausarrest, muss eine elektronische Fußfessel tragen und sich regelmäßig bei der Polizei melden.
Dem Internetaktivisten werden in Schweden sexuelle Vergehen vorgeworfen, die von ihm und anderen als vorgeschobener Grund betrachtet werden. Assange hatte nach seiner Freilassung in einem Interview mit dem britischen TV-Sender "Sky News" von einer "extrem ernsten" Bedrohung einer gerichtlichen Verfolgung durch die USA gesprochen. Von einem seiner Anwälte wisse er, dass die US-Justiz ihn wegen Spionage anklagen wolle. Eine Grand Jury unterstütze sie bei den Ermittlungen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Energiewende in Deutschland
Erneuerbare erreichen Rekord-Anteil
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren
Migration auf dem Ärmelkanal
Effizienz mit Todesfolge
Grüne über das Gezerre um Paragraf 218
„Absolut unüblich und respektlos“
Kürzungen im Berliner Haushalt
Kultur vor dem Aus