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Vom Sauerkraut zur absoluten Daimlokratie

■ Eine Bildbetrachtung der neuen Konzernzentrale von Daimler-Benz in Stuttgart-Möhringen, Architekt Rolf Maschlanka

Sauerkraut ist das erste, was Schwaben und Nichtschwaben zur Hochebene „Filder“ einfällt. Doch die Kohlkopfäcker spielen auf jenem von Autobahnen, dem Flughafen, Fabriken und endlosen Häuslereihen zerstörten Bauernland an Stuttgarts Südrand kaum noch eine Rolle. Längst schießt dort nur noch Beton aus dem Boden. Jüngstes, soeben eröffnetes Exempel: 150.000 Kubikmeter, getragen von 17.000 Tonnen Stahl, die sich hier, umrandet von sterbendem Wald, zur Reuter-City vereint haben, zur Hauptzentrale von Deutschlands mächtigstem Konzern, der Daimler-Benz AG. Nun darf der Multi am Potsdamer Platz ganz ähnliche Mammuthäusle errichten.

„Möhringens Metropolis“ ('Stuttgarter Nachrichten‘) erstreckt sich auf 120.000 Quadratmeter, das Berliner Areal auf rund 62.000. In Möhringen arbeiten 3.250 Menschen, in Berlin sollen es je nach Schätzung 1.500 bis 3.000 werden. Klar, daß hier wie dort internationale Architektenwettbewerbe und Expertenjurys Pflicht sind - und klar, daß es an Geld nicht mangelt.

Das Filder-Ensemble löst im Hinblick auf Berlins neue Stadtmitte zwei konträre Assoziationen aus: „Konsequent“ muß die Betonstadt all jenen erscheinen, die für die Ehrlichkeit der Verhältnisse plädieren. Wie ein postindustrielles Versailles gliedert sich die Mammutanlage. Mauerartig schirmen Eck- und Kantbauten den Rest der Welt ab. Alles gipfelt im neudeutsch „Campanile“ genannten Chefturm, dessen Dach wiederum - na was wohl? - der gute Stern von Untertürkheim krönt. Und davor ein Paradeaufmarschhof, auf dem dann auch Landvogt Momper sich ganz klein fühlen würde, ginge er hier zur Audienz bei den Konzernherren. Selbst die sonst eher Daimler-nahen 'Stuttgarter Nachrichten‘ nannten diese Aufmarschachse „peinlich“. Um so peinlicher, daß die Vorgabe von Konzern und Architekten die einer eigenen Stadt war, offenbart sich darin doch, daß die Stuttgarter Stadt noch immer als Residenzstadt begreifen. Konsequent wäre diese Rokokolösung auch für Berlin: Wenn wir unsere Stadtmitte schon verschenken und dabei von Daimler noch einen zeitgemäßen Akzent in der Architektur erwarten - dann läge doch nichts näher, als a la Sonnenkönig zu manifestieren: L‘ etat c'est moi.

Charlottenburgs Schloß oder Sanssouci böten Weltstadtbesuchern dann interessante Vergleiche hinsichtlich des menschlichen Fortschritts. Bausenator Nagel hat dies ansatz- und ausnahmsweise auch schon begriffen und vergangene Woche ein erstes Modell mit einem krönenden 150 -Meter-Turm ( 50 Etagen?) präsentiert. Auf daß Berlin ein ehrlicheres Gesicht erhalte: ein Denkmal für die Daimlokratie.

Weitere Assoziation angesichts des Stuttgarter Luftbildes: „So sieht's aus, wenn Rot-Grün Daimler baut“, entfuhr es einem Kollegen beim Anblick der Residenz. Begrünte Dächer mit asymmetrischen Wandelpfaden (für ausgelaugte Bildschirmworker?), autofreie Stadt im Innern, Campanile, „Piazze“, 2.850 Sträucher, 57.000 Stauden und 270 Bäume. Bis auf den unvermeidlichen Turm alles brav maximal fünfstöckig

-und ganz aus Naturstein. Und natürlich ganz sozialdemokratisch mit 2.500 Parkplätzen, Kunst am Bau in Millionenwerten, Sozialeinrichtungen, Restaurants, Freizeiteckchen. Die Idee vom Bau einer Stadt fiele auch in Berlin auf fruchtbaren Boden, enthält sie doch das verzweifelte Streben nach neuem ganzheitlichen Leben, den Versuch der großen Versöhnung zwischen dem Computermenschen, den Autokonzernen und der Umwelt. O-Ton Konzernchef Reuter: „Wir bei Daimler-Benz haben uns nur bemüht, ein menschliches Maß zu finden.“ Mehr will auch die AL nicht. Kommt also in Berlin auch eine solche lauwarme Manifestation der rot -grünen Kompromisse für die Ewigkeit?

Ganz gleich, auf welche Weise Berlins Daimler-Stadtmitte nun mißlingen muß, als postmoderne Belanglosigkeit oder als Neoabsolutismus - Volkes Quittung wird Momper kaum noch erhalten. Wetten, daß er noch rechtzeitig zum Wahltag seinen Grundstein legen will? Ganz so ins Leere wie einst Kohl und Diepgen beim Historischen Museum...

Thomas Kuppinger

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