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Vom Sammeln und Schauen

Von Caspar David Friedrich bis Ferdinand Hodler: Ein akustisch begleiteter Spaziergang durch die Sammlung Reinhart in der Alten Nationalgalerie  ■ Von Thomas Fechner-Smarsly

„Guten Tag und herzlich willkommen. Ich bin Ulrich Mühe und freue mich darauf, Sie auf einem Rundgang zu Meisterwerken des 19. Jahrhunderts aus der Sammlung Reinhart zu begleiten.“ Der Herr, dessen wohltuende Stimme den Besucher höflich durch die kleine Vorhalle in den ersten Saal der Alten Nationalgalerie bittet, ist jederzeit abschaltbar. Und er fordert auch nachdrücklich dazu auf, wenn etwa eines der Bilder zu längerer Verweildauer anregen sollte. Was er zu sagen hat, sagt er unaufdringlich und ohne jeden belehrenden Tonfall. Nur stellt er sich leider auf jegliche Nachfrage partout taub.

Was doch recht bedauerlich ist angesichts all dieser schönen Bilder aus großbürgerlichem Besitzstand, mit ihrem patinierten Glanz vergangener Zeiten, ihren vergoldeten oder von der Zeit nachgedunkelten Rahmen und präsentiert im stilvollen Ambiente der Alten Nationalgalerie, wo man sich gleich an die Schwelle des Jahrhunderts zurückversetzt fühlt.

Ein ähnliches Gefühl, nur um einiges zeitgemäßer, muß wohl auch den Schweizer Oskar Reinhart überkommen haben, als er im Jahre 1906 am nämlichen Orte eine „Ausstellung deutscher Kunst aus der Zeit von 1775 bis 1875“, die sogenannte „Jahrhundertausstellung“, besuchte. Diese Ausstellung führte nicht nur zu einer generellen Revision der bis dahin geltenden musealen Maßstäbe, indem „Vergessenes (...) der Anonymität entrissen und wiederentdeckt, Künstlerpersönlichkeiten aus der regionalen Bekanntheit in einen neuen Zusammenhang gefügt“ (Katalog Sammlung Reinhart) wurden – sie geriet dem Sohn eines wohlhabenden Handelskaufmannes zum Intitial-Erlebnis, die seinen weiteren Lebensweg – in dem wohl ohnehin keine größeren Hindernisse vorgesehen waren – entscheidend prägte.

Er wurde Sammler. Das fiel ihm schon deshalb nicht weiter schwer, als der Vater bereits als großer Freund und Gönner der Künste galt und Maler wie Ferdinand Hodler und Karl Hofer förderte. Nach anfänglicher, der allgemeinen Mode folgender Manie für die Franzosen von Poussin über Chardin bis zu Cezanne und van Gogh, verlegte sich Reinhart bald aufs Teutsche. Schon 1913 hatte er als einer der ersten ein Bild Max Liebermanns erstanden, und in den folgenden Jahrzehnten sollte er eine Sammlung deutscher Romantik aufbauen, die ihresgleichen nicht kennt, wenigstens nicht außerhalb der Stammlande.

Vieles von dem erfährt der geneigte Besucher, der sich bereitwillig einer Führung, sei sie elektronisch oder live, unterzieht. Und er erhält Antwort auf Fragen, die ihm wohl gar nicht in den Sinn gekommen sein mögen. Oder wußten Sie etwa, daß Carl Blechen in seinen Bildern den Impressionismus vorwegnahm? Daß Philip Otto Runge, die größte Hoffnung der deutschen Romantik, bereits mit dreiunddreißig Jahren an der Schwindsucht starb? Und daß Franz Krüger, bekannt für seine „preußischen Militär-Scenen“, mit dem despektierlichen Spitznamen „Pferde-Krüger“ bedacht wurde? Ach, den kennen Sie gar nicht?! Na, sehen Sie. Was Sie brauchen, ist kenntnisreiche Anleitung! Schließlich ist nicht nur das Sammeln von Kunst eine Frage der Kennerschaft – auch das Betrachten will am Gegenstande gelernt und zum vollen Genusse informativ unterfüttert sein.

Doch während wir multimedialen Autisten noch mit der Minimal-Tastatur unserer Cassetten- Geräte zu Gange sind – schneller Rücklauf, hoppla, das war ein Bild zuviel –, hat die nette junge Dame mit dem etwas gleichbleibenden Tonfall und dem trippelnden Pulk um sich schon längst den Blick verstellt auf das Prunkstück: Caspar David Friedrich, „Kreidefelsen auf Rügen“ (1818/19). Bereitwillig erklärt sie der Menge der Beflissenen nicht nur die Umstände von Friedrichs Hochzeitsreise, sondern auch die kunsthistorischen Vermutungen über die Identifikation der Figuren auf diesem Kleinod deutscher Malerei, um schließlich auch noch dessen Symbolgehalt zu entschlüsseln: der Mensch, immer an der Schwelle zum Tod (die Kreidefelsen), erfährt doch die Möglichkeit der Erlösung (das Meer) und wird in den lichten Himmel emporgehoben.

Auf seinem weiteren Rundgang wird der staunende Betrachter nicht nur mit den Familienidyll eines Anton Graff behelligt, sondern auch auf die alpine Wucht der Gebirgsdarstellungen eines Caspar Wolf hingewiesen. Dieser hatte das Sujet als erster zu einem Hauptmotiv der Kunst erhoben, ehe Maler wie Joseph Anton Koch es mit ihren putzigen Figürchen am Wegesrand zur pittoresken Speisesaaldekoration herabpinselten.

Im übrigen – was dem einen seine Kraxeltour über den unteren Grindelwaldgletscher, das ist dem anderen seine kostenlose Führung durch die Museen der Welt. Nun wollen wir weder die eine noch die andere Form gewagten Flanierens über Gebühr schlecht machen. Im Gegenteil. Wo freilich die Kenntnisse über das kulturelle Erbe vergangener Zeiten ohnehin schon auf einen beklagenswerten Tiefpunkt gesunken sind, empfehlen wir doch nachdrücklich den Besuch in der Sammlung Reinhart — solange dies noch möglich ist!

Von Caspar David Friedrich bis Ferdinand Hodler. Meisterwerke aus dem Museum Stiftung Oskar Reinhart, Winterthur. Alte Nationalgalerie. Di—Fr 9—20, Sa u. So 10—20 Uhr. Tonbandführungen: 5 DM. Klassische Führungen: Mi 18 u. So 11 Uhr. Noch bis zum 12.09.

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