■ Vom Nachttisch geräumt: Objekt der Begierde
Der 1916 geborene Harold Norse ist bei uns wenig bekannt. Schade. Sein Buch „Bastard – Die Memoiren eines gefallenen Engels“ ist intelligent, aufregend, sinnlich. In den zwanziger und dreißiger Jahren ein heranwachsender jüdische Homosexueller zu sein war auch in den USA eine besonders harte Schule. Sie wurde fortgesetzt als Soldat im Zweiten Weltkrieg und fand erst ihr Ende mit der Flucht nach Europa.
Norse hat sie alle gekannt, war mit ihnen befreundet: von Wystan Hugh Auden, James Baldwin, William Burroughs bis Tennessee Williams und William Carlos Williams. Das Buch ist natürlich auch eine Skandalchronik der amerikanischen Literatur des zwanzigsten Jahrhunderts. Aber Norse entläßt die Leser nicht als Voyeure, sondern er schildert so genau, daß sie involviert werden, anfangen mitzuempfinden. Sie werden nicht vergessen, wie der dreizehnjährige Autor seinen seine Mutter verprügelnden Stiefvater mit einem Messer anspringt und besiegt. Norse gehört zu den Autoren, die ihre Leser mitreißen, sie zwingen, gemeinsame Sache mit ihnen zu machen. Das ist besonders eindrucksvoll in den Passagen, in denen Norse seine ersten erotischen Erfahrungen schildert. Man erlebt die Mischung aus Schreck, Scham, Stolz und Lust noch einmal. Man erfährt, daß die Liebe immer dieselbe ist, was auch immer das Objekt der Begierde sein mag.
Harald Norse: „Bastard – Die Memoiren eines gefallenen Engels“. Übersetzt von Walter Hartmann und Carl Weissner. Rogner & Bernhard bei Zweitausendeins, 487 Seiten, Schwarzweißfotos, 40 DM
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