■ Vom Nachttisch geräumt: Blauwolkengasse
Hellmut G. Haasis ist einer der besten Kenner der deutschen Sympathisanten der französischen Revolution. Seine Ausgrabungen widerlegen die Vorstellung, es habe in der deutschen Geschichte nur Zipfelmützen-Michels gegeben. Die großen Verlage scheinen nicht mehr an den Äußerungen mehr oder weniger klammheimlicher Freude über den Sturz der Monarchie bei den Franken interessiert zu sein. Haasis macht uns darum die Texte im eigenen Verlag zugänglich. In seiner Reihe „Blauwolkengasse“ bringt er wichtige kurze Texte zum deutschen Jakobinismus heraus. Haasis erklärt den Titel der Reihe: „Die letzte Adresse des nach Straßburg emigrierten deutschen Jakobiners Eulogius Schneider. Hier ließen ihn die Konventskommissare im Dezember 1793 auf dem Höhepunkt des Ausländerhasses verhaften und nach Paris unter die Guillotine schleppen. Opfer einer eigentümlichen Koalition aus reichem Straßburger Bürgertum und Pariser Robespierristen. So ist diese Gasse ein Symbol von radikaler Demokratie, Emigration und Niederlage. Ein Ort der Besiegten, wo die noch uneingelösten Hoffnungen leichtfüßig auf einer anziehenden Wolke daherkommen.“
Bisher sind vier Hefte erschienen. Begonnen wurde die Reihe mit Carl Gottlieb Daniel Clauers „Allgemeiner Aufstand oder vertrauliches Sendschreiben an die benachbarten Völker, um sie zu einer heiligen und heilsamen Empörung aufzumuntern.“ Die Flugschrift erschien 1791 und versucht, den armen Bauern und kleinen Leuten klarzumachen, daß die Herren nur die Herren sind, solange die Adressierten es zulassen. Der Text agitiert hervorragend. Aber er agitiert keine Masse, sonden den einzelnen. „Du, wer du auch sein magst, dem dieser Brief zu Händen kommt und der ihn lesen kann, her da, setze dich mit mir in irgendeinen Winkel allein. Denn allein, unter vier Augen, muß ich mit dir reden.“ So beginnt Clauer seinen Aufruf. Die Geburt des Aufstandes aus der Intimität. Clauer weiß, daß umstürzlerische Gedanken erst einmal solche bleiben müssen, dann leise geflüstert, später erst deutlich ausgesprochen und endlich, nach vielen Umwegen, laut gerufen werden können.
„Blauwolkengasse – Eine verschüttete Freiheitsbibliothek aus der Zeit der deutschen Jakobiner“. Ausgegraben von Hellmut G. Haasis. Verlag Der Freiheitsbaum, Tannenstraße 17, 741 Reutlingen, jeweils 40 bis 60 Seiten, neue Illustrationen, 16.80 DM
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