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Vom Nachttisch geräumt: Hermlin

„Wissen Sie, seitdem die Verbrechen Stalins im wesentlichen, nicht in der Gänze, aber im wesentlichen bekannt sind, und das ist ja nun schon eine ganze Weile her, über 30 Jahre, seit 1956. Seitdem hat mich immer der Gedanke beherrscht, hier wurden von Kommunisten im Namen des Kommunismus andere Kommunisten ermordet, was übrigens eine Parallele dazu bildet, daß jahrhundertelang Christen im Namen des Christentums auf den Scheiterhaufen gebracht wurden. Worüber sich heute schon eigentlich niemand mehr aufregt, weil es so lange her ist. Nun sind die Verbrechen Stalins natürlich neueren Datums. Aber ich war immer der Ansicht, seit ich von diesen Verbrechen weiß, daß eine bestimmte große Anzahl von Menschen, namentlich Journalisten, Publizisten, Schriftsteller und andere Leute, im Grunde genommen kein Recht haben, diese Verbrechen Stalins anzuklagen. Denn es sind unsere Toten, die dort gefallen sind. Es waren auch unsere Henker, aber es waren unsere Toten. Es sind tote Kommunisten, und um die können eigentlich nur Sozialisten und Kommunisten klagen.“ So Stephan Hermlin unwidersprochen zu Manfred Engelhardt. Faustdicker wird selten gelogen. Warum tut Hermlin das? Wen schützt er? Was verteidigt er? Als Hermlin 1931 in die KP eintrat, hatte der real praktizierte Kommunismus schon mehr als ein Jahrzehnt seiner Schlächterkarriere hinter sich. Das Schlimmste kam freilich noch. Da war Hermlin dabei. Zeitgenosse. Er erfuhr nicht erst 1956 davon. Vielleicht glaubte er die Wahrheit wirklich erst, als er sie nicht nur sah, sondern als man ihm auch erlaubte, sie zu glauben. Die Millionen Opfer des Stalinismus, die keine Kommunisten waren — der weitaus überwiegende Teil — darf ich beklagen, Hermlin braucht es nicht. Er muß sie nicht einmal erwähnen. Warum darf ein Liberaler die kommunistischen Opfer des Stalinismus nicht beklagen? Warum redet Hermlin irre?

Manfred Engelhardt: Deutsche Lebensläufe — Gespräche mit Stephan Hermlin, Hilde Eisler, Hans- Georg Canje, Friedrich Schorlemmer, Wolfgang Ullmann, Konrad Weiss, Egon Bahr . Aufbau-Taschenbuch, 175 Seiten, 12,80 DM.

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