piwik no script img

Vom Metzger zum Medicus

■ Jörg Neuenschwanders Kräuter und Kräfte führt in die Heilkunde des Emmentals ein

Genüßlich ruht die Kamera auf der bilderbuchidyllischen Alpenlandschaft. In einem langsamen Schwenk fährt sie einen eisbezapften Abhang hinunter und folgt einem Fluß, auf dem die Schneeflocken schmelzen. Der Schweizer Regisseur Jörg Neuenschwander präsentiert die Natur des Emmentals von ihrer schönsten Seite. Prachtvoll gedeihen hier Kräuter und Kräfte.

Bei Dreharbeiten zu seinem Film Shigatse in Tibet hat der Regisseur die fernöstliche Magie des Heilens erfahren und sich an rational nicht erfaßbare Momente seiner eigenen Kindheit im Emmental erinnert. Jetzt porträtiert er Naturheiler, doch zur Einleitung liest eine Erzählerstimme Briefe an den „lieben Peter“. Erinnerungen an die Schulzeit werden beschworen – an die Zeit, in denen die Geister der Kindheit dem Fortschrittsglauben weichen mußten. Der liebe Peter ist eigentlich auch schon tot, wie sich auf einmal herausstellt: überfahren von einem Auto, natürlich. „Der Fortschritt konnte Dir auch nicht helfen“, schwyzerdütscht es aus dem Off.

Die Marschrichtung ist vorgegeben. Doch dann kommt es gar nicht so schlimm: Die Aufnahmen der Menschen im weltabgeschiedenen Emmental sprechen für sich. Skurril ist der wohlbeleibte Essenzmischer Otto Mühle anzusehen, wenn er die Rücken der Bauern bependelt oder gemächlich einen Sirup anpreist, der auch „ein bißchen Codein und Opium“enthält. Ein Patient begründet sein Vertrauen in ihn nüchtern: „Der hat schon früher als Metzger gute Ware gehabt.“

Immer wieder wird die Landschaft in den Vordergrund gerückt, manchmal driften die Aufnahmen bedenklich in die Nähe von Esoterik-Postkarten. Unpassenderweise, denn die Emmentaler, die noch nicht in Tibet waren, haben ein bodenständiges Verhältnis zur Geist- und Kräuterheilerei: Manchen ist der Weg zum Arzt zu weit, keiner träumt von Wundern.

Sabine Claus

Do, 19. bis Mi, 25. März,

20.30 Uhr, 3001

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen