Vom Kultbild zum Abbild: Die Wirklichkeit der Pfeffersäcke
Als die Kunst begann, alles Heilige auf die dem Kaufmannsgeist fassbare Realität herunter zu brechen: In Hamburg zeigt das Bucerius Kunstforum Frührenaissance.
HAMBURG taz | Es ist ein Herbst der Renaissance: München zeigt Perugino, Dresden Rafaels Madonnen und ihr Umfeld, Berlin hat die international bestückte Porträtausstellung im Bode Museum. Und London feiert Leonardo. Hamburg spielt da mit und zeigt am Rathausmarkt eine exquisite Auswahl von Frührenaissance-Bildern. Woher dieses kaum zufällige Angebot? Endlich wieder gesicherte Werte zeigen - oder angesichts delirierender Märkte darauf hinweisen, dass der frühe Kapitalismus auch eine hohe Kultur finanzierte? Schon im 14. Jahrhundert beginnt in Mittelitalien jener ökonomische, gesellschaftliche und kulturelle Umbruch, dem die Zeitgenossen selbst anspruchsvoll den Namen Neuzeit gaben und den wir als Renaissance, also Wiedergeburt der antiken Größe bezeichnen.
Die Hamburger Ausstellung ist mit rund 40 Werken aus dem wenig bekannten Lindenau-Museum im thüringischen Altenburg bestückt. So wunderbar diese meist nicht allzu großen Bildtafeln aus den Predellen einstiger großer Altarensembles sind, so interessant ist die Geschichte, wie eine der weltbesten Sammlungen italienischer Frührenaissance ausgerechnet nach Altenburg kam. Gesammelt und testamentarisch auf Dauer dem Herzogtum Sachsen-Altenburg vermacht hatte die etwa 180 Bilder, samt 400 griechisch-etrurischen Keramiken sowie über 70 Gipsabgüssen berühmter Plastiken, der sächsisch-thüringische Jurist und Astronom, Minister und Mäzen Bernhard August von Lindenau (1779 - 1854): "Zwei Gründe veranlassten die Sammlung, … einmal die eigene Vorliebe für altgriechisch-mediceisch-italienische Kunst und dann die Thatsache, dass meine Vaterstadt aller plastischen Hülfsmittel entbehrt, um eine Kenntnis schöner Vorbilder der Malerei, Bau- und Bildhauerkunst und damit eine höhere, geläuterte Bildung des Geschmacks zu erhalten." Diese Chance erhält nun dank des Bucerius Kunstforums auch der an Beispielen italienischer Frührenaissance eher arme Norden Deutschlands.
Für das Glanzstück der Ausstellung, Botticellis "Bildnis einer jungen Frau im Profil" von 1475, hatte der Freiherr 1847 nur 40 Scudi bezahlt - den damaligen Preis für drei Kühe. Es ist möglicherweise ein frühes Porträt der Florentiner Adeligen Caterina Sforza und wurde erst später mit wenigen Ergänzungen zu einem Bild der heiligen Katharina verändert. Das allerdings ist eine eher gegenreformatorisch anmutende Maßnahme, die den Renaissance-Prozess der Verweltlichung kirchlicher Motive später geradezu umzukehren versucht. Denn in der Malerei zwischen 1300 und 1500 wird der Universalraum des schimmernden himmlischen Goldgrundes langsam zurückgedrängt und die Bilder beginnen, real anmutende Szenen mit Landschaftshintergrund zu zeigen.
Kurator Michael Philipp warnt gleichwohl, nicht in die "Vasari- Falle" zu laufen, also die Entwicklung der Perspektive und der Körpervolumen nicht wie der Vater der Kunstgeschichte zum alleinigen Kriterium der Bildqualität zu machen. Der Architekt, Maler und Biograph Giorgio Vasari, hatte in seiner 1550 erschienen "Lebensbeschreibung der berühmtesten Künstler" zwar relativ genau über die Künstler der Spätgotik und der frühen Renaissance berichtet, verfolgte aber hinter der Reihe seiner Biografien ein klares Entwicklungsmodell: Alles Kunstbestreben kulminiert im Dreigestirn Raffael, Leonardo und Michelangelo.
Die Künstler davor waren für ihn vor allem als Vorläufer interessant, als Stufen eines Weges zur idealen, der Antike entsprechenden Ausformung der Körper in einem weit gehend realistischen Bildraum. Und diesem Modell folgen die meisten noch heute - ein gutes Beispiel für langfristig gelungene Propaganda im Sinne des mediceischen Florenz, des papalen Rom und seiner persönlichen Künstlerfreunde. Tatsächlich ist eine solche idealisierte Entwicklung vom steifen Byzantinismus zum realistischen mittelitalienischen Kunstideal ein weltgeschichtlicher Sonderfall, der schon für das zum Orient und seinen Formen orientierte Venedig und das in Stiltraditionen konservativere Siena nicht so eindeutig und vor allem nicht so linear gilt. Schon gar nicht ist das eine Frage des Könnens der Künstler. Gerade im heutigen Wissen um die Abstraktion und den Zeichencharakter des Bildes, sollte man die angeblich primitive, spätmittelalterliche Malweise nicht unterschätzen. Es hat durchaus seine Würde, etwas spirituell Gemeintes aufzuzeigen, statt alles Heilige auf die dem Kaufmannsgeist fassbare Realität herunter zu brechen.
Hinsichtlich der Entwicklungsgeschichte italienischer Malerei vom Kultbild zum Abbild der Welt kann die chronologisch aufgebaute Hamburger Ausstellung allerdings einen ganzen Hochschulkurs ersetzen. Denn nichts zeigt die extreme Veränderung des Blicks auf Personen und Räume so gut, wie der Vergleich zweier Bilder derselben Szene, gemalt im Abstand von immerhin rund 230 Jahren. Das früheste und das späteste Bild der Ausstellung sind beide eine Darstellung der Geißelung von Jesus: Um 1275 malt Guido da Siena einen mit blutigen Wunden vor einer rosa, gelb und blau stilisierten Architektur an einer volumenlos dünnen Säule Leidenden mit zwei zum Schlag ausholenden, doch seltsam distanzierten Personen unter einem goldenem Himmel; 1508 zeigt Luca Signorelli in einem grauen Innenraum an einer archäologisch korrekt dargestellten ionischen Säule eine mit makelloser Haut leuchtende Hauptfigur, eher elegant mit locker überkreuzten Beinen und durchsichtigem Lendenschurz, während die sechs muskulösen Peiniger wie Bewegungsstudien wirken.
Aus der Vergeistigung in goldener Transzendenz wurden die religiösen Geschichten in sinnlich überprüfbare Realität verkörpert. Die Bilder der Renaissance sind von Künstlerstars personalisiert, gegenüber dem christlichen Thema von einiger Autonomie und zeigen ihren religiösen Inhalt als Geschehen in den Dimensionen, Räumen und modischen Konventionen der damaligen Welt. Dabei ist die Alltagsrealität kein Widerspruch zum Göttlichen, sondern gerade in dieser Gegenwart zeigt sich der durchaus wissenschaftlich erforschbare Ausdruck des göttlichen Wirkens. Doch auch diese Gewissheit und ihre Bilderwelt wird zusammenbrechen: Im Zeitalter der wissenschaftlichen und geographischen Entdeckungen scheinen die Verzerrungen des Manierismus - wie sie die überkreuzte Bilddynamik bei Signorelli schon andeutet - der passende Ausdruck einer ausufernden Welt, die nur noch mühsam in einem Bild zu fassen ist.
Bis 8. Januar: Die Erfindung des Bildes. Frühe italienische Meister bis Botticelli. Bucerius Kunst Forum, Rathausmarkt 2, täglich 11 - 19 Uhr, donnerstags bis 21 Uhr. Rahmenprogramm mit Literatur und Musik. Katalog: 224 Seiten, 24,80 Euro, Hirmer
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