„Vom Investieren abgeschreckt“

Nach dem ökologischen Horror droht in den Uranabbaugebieten das wirtschaftliche Elend  ■ Von Reimar Paul

Wenn er auf die Medien zu sprechen kommt, wirkt der Schneeberger Pfarrer Andreas Krusche gereizt. Die Probleme in der Region, sagt er, „sind schon groß genug. Die brauchen nicht noch weiter aufgeblasen zu werden.“ In einem dicken Aktenordner hat Krusche Zeitungsartikel gesammelt, die über die angeblichen oder auch tatsächlichen Folgen des Uranbergbaus in Ostthüringen und im Erzgebirge berichten. „Vielen Reportern und ihren Blättern ist es hier um eine schnelle Mark und einen möglichst reißerischen Bericht gegangen“, meint der Pfarrer und zitiert zum Beleg Überschriften aus großen deutschen Boulevardzeitungen. „Schneeberg — wo der Tod aus der Erde kommt“, steht da, oder: „Das ist Tschernobyl!“

Mit so einer „Horrorberichterstattung“, glaubt auch Thomas Seifert, Leiter des Schneeberger Umweltamtes, „ist niemandem gedient.“ Etliche Journalisten, die in den vergangenen Monaten in die Gegend eingefallen seien, hätten „schlichtweg keine Ahnung von der Materie“. Und schlimmer: „Sie machen sich keinerlei Gedanken, was sie mit ihren Artikeln anrichten.“

Krusche und Seifert geht es nicht darum, die gesundheitlichen und ökologischen Schäden des Uranbergbaus kleinzukochen oder gar zu verheimlichen. Im Gegenteil, sie gehören zu denjenigen, die das damalige Tabuthema noch vor der Wende aufgegriffen und sich mit kritischen Fragen an das Bergbauunternehmen, die Sowjetisch-Deutsche Aktiengesellschaft (SDAG) Wismut, wandten. Im Sommer 1989, „als hier noch alle die Stimme senkten, wenn sie über die Wismut sprachen“, gründete Pfarrer Krusche mit ein paar Freunden die Arbeitsgruppe „Pechblende“, in der Protestmaßnahmen gegen die Landschaftsverschandelung und vermutete radioaktive Belastungen durch die Uranindustrie erörtert wurden.

Die Befürchtungen der „Pechblende“-Leute wurden bestätigt, als nach Öffnung der Grenzen private Strahlenmeßfirmen, später auch Trupps des Bundesamtes für Strahlenschutz, mit Dosimetern und Geigerzählern in Schneeberg anrückten. Sie fanden in vielen auf oder am Rande von Uranerzhalden gebauten Wohnhäusern Konzentrationen des radioaktiven Radon-Gases von mehreren tausend Becquerel pro Kubikmeter Raumluft. Zum Vergleich: In der Bundesrepublik gelten Werte von 50 Becquerel als normal, ab 250 Becquerel empfehlen die Behörden Sanierungsmaßnahmen. Umweltminister Töpfer erklärte die Uranbergbauregion bei einem Besuch im Oktober letzten Jahres zum ökologischen Notstandsgebiet und versprach rasche staatliche Hilfe bei der Sanierung. Die Kosten dafür sollen sich verschiedenen Schätzungen zufolge zwischen fünf und vierzig Milliarden Mark bewegen.

Doch wann und ob Bonn überhaupt Geld für die Sanierung lockermacht, das steht zur Zeit ebenso in den Sternen wie Zeitpunkt und Umfang zugesagter Zahlungen für die „sozialen Abfederungen“. Seitdem die Wismut Ende des vergangenen Jahres die Uranförderung praktisch eingestellt hat, sind Tausende ehemaliger Kumpel in die Arbeitslosigkeit entlassen worden. Frühere Zuliefer- und Transportbetriebe mußten mangels Nachfrage dichtmachen. Neben der ökologischen droht dem jahrzehntelang vom Uranbergbau und der SDAG Wismut abhängigen Gebiet jetzt die ökonomische Katastrophe. Die Lage wird durch Absagen westdeutscher Industriebetriebe noch verschärft. Eine Reihe ursprünglich interessierter Firmen, weiß Umweltamt-Chef Seifert, sei durch die „maßlos übertriebenen“ Zeitungsberichte vom Investieren abgeschreckt worden. Pläne des VW-Werks für eine Fertigungsstätte bei Zwickau verschwanden nach Bekanntwerden der ökologischen Verwüstungen schnell in der Schublade, und auch das Ansiedlungsinteresse eines Herstellers für Getränkeautomaten erlosch wieder. Das Erzgebirge, so Seifert, werde in der öffentlichen Meinung „mit Tschernobyl gleichgesetzt“. Jeder hier produzierende Betrieb müsse befürchten, „daß er wegen des schlechten Rufs der Region auf seinen Sachen sitzenbleibt“.

Auch Pfarrer Krusche hält es für ausgemacht, daß die Gegend ohne neue Industrieansiedlungen nicht auf die Beine kommt. Viele Bürger aus Schneeberg und Umgebung, glaubt er, fühlten sich zu Recht ein zweites Mal betrogen. „Mit ein wenig mehr Sachlichkeit in der Auseinandersetzung hätte vielleicht das Schlimmste verhütet werden können.“

Die Verbitterung der Menschen ist auch deshalb groß, weil ausgerechnet die Wismut, in der nach dem Rückzug der Sowjetunion nun das Bundeswirtschaftsministerium das gesamte Aktienkapital hält, relativ unbeschadet aus der Krise hervorzugehen scheint. Mit stark reduziertem Mitarbeiterstamm und frisch gewendet, hat sich das Unternehmen zu neuen Ufern aufgemacht. Maschinen- und Stahlbau, Consulting, Logistik und Service — das sind die Dienstleistungen, mit der die Wismut um Klienten wirbt. Nicht ohne Erfolg, wie das 'Handelsblatt‘ schrieb: Sowohl von großen westdeutschen Firmen als auch aus Brasilien, Südostasien und Südafrika ist bereits bergmännisches Know-how von der Wismut angefragt worden. Pfarrer Krusche: „Die haben sich eben schnell angepaßt und ihre Schäfchen schon fast wieder im Trockenen.“