: Vom Grund des Übels
Der beleidigte Teamchef und seine Kicker ■ PRESS-SCHLAG
Die Deutschen haben verloren, und das können sie bekanntlich nicht. Schon gar nicht Franz Beckenbauer, Teamchef der Nationalmannschaft. Während des Europameisterschaftsturnieres meist beherrscht und witzig -souverän, öffneten sich nach der unglücklichen, aber hochverdienten Niederlage gegen die Niederlande die Schleusen seiner Wut, und die ergoß sich vorwiegend über einen Mann: Paul Breitner. Ein „Grundübel“ des deutschen Fußballs sei dieser, „ein Gestörter“, dem er jetzt „das Handwerk legen“ werde. Breitner konterte mit Begriffen wie „Totengräber“ und verlief sich mit gewohnter Vermessenheit metaphorisch gar in der Epoche des Nationalsozialismus. Beckenbauer vergäße, daß er nicht „Teamchef anno 1938“ sei.
Daß Breitner, dessen Job es ist, als giftiger Kolumnist die Auflage einer Boulevardzeitung zu steigern, die Auseinandersetzung sucht, ist klar, daß sich ein Quasi -Bundestrainer auf diese Ebene herabbegibt und in derselben Zeitung gegengeifert, verrät zumindest eine gewisse Stillosigkeit. Sepp Herberger jedenfalls hätte sich eher beide Hände abgehackt, um ja keinen Bleistift mehr gerade halten zu können.
Ein Grundübel sind weder Breitner noch Beckenbauer. Die Art, wie sie übereinander herfallen, als wären sie zwei Kleinkinder, die sich um eine Schaufel streiten, oder, von mir aus, zwei Mannsbilder, die mit einigen Litern Bier im Kopf zu vorgerückter Stunde darüber disputieren, wer beim Golf besser putten kann, verrät schon eher, woran der deutsche Fußball krankt.
Es ist die Verbissenheit, einhergehend mit grenzenloser Kritikempfindlichkeit, daß übersteigerte Sich-selbst-und-den -Fußball-zu-wichtig-nehmen, die mangelnde Lust am Fußballspielen, die gnadenlose Ergebnisorientiertheit „rechter Fußball“, wie Menotti sagt. Da lamentieren deutsche Spieler heute noch über den - völlig berechtigten niederländischen Elfmeter, als trage der die Schuld an ihrer Misere, da fällt Andreas Brehme grimmig über das Hamburger Publikum her, das seine Vasallenpflicht verletzte und nicht genug jubelte. Warum zum Teufel sollten Zuschauer jubeln, wenn es ihnen im Stadion nicht gefällt?
Zum hundertstenmal könnten die Deutschen hier von den Niederländern lernen. „Es geht uns nicht darum, unbedingt zu gewinnen“, sprach Ruud Gullit, „wir wollen uns in erster Linie einen Platz in den Herzen unserer Fans erobern.“ Die Fans als Könige, nicht als dienstfertige Gefolgsleute.
Zu Beckenbauers Ehrenrettung sei gesagt, daß es Spieler, die zu Herzen gehen, hierzulande weit und breit nicht gibt. Und ob der Teamchef fünf Leute austauscht, wie von DFB-Chef Neuberger gefordert, oder nicht, ist so wurscht wie ein zerknautschter Fußball. Die Nationalelf wird auch in naher Zukunft an den Thons, Brehmes, Mills und Kohlers nicht vorbeikommen, und dafür hat sie sich bei dieser EM eigentlich ganz ordentlich gehalten.
Matti
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen