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Voller Ruß voraus

Bis 2045 soll die Wärmeversorgung CO₂-neutral sein. Statt Öfen und Öl- oder Gasheizungen sollen dann Technologien wie Wärmepumpen Häuser und Wohnungen beheizen. Wie wirkt sich das auf Schorn­stein­fe­ge­r:in­nen aus?

Über den Dächern Hannovers macht sich Pauline Große die Hände gerne schmutzig

Von Clarissa Hofmann (Text) und Christian Wyrwa (Fotos)

Pauline Große trägt ihre Lehrlingskappe an diesem Mittwochmorgen im August nicht. Trotzdem schwitzt sie in ihrem Kehranzug mit Schulterbesatz und Armstulpen aus Leder bereits auf dem Parkplatz vor dem Einfamilienhaus im Norden Hannovers, in dem sie gleich den Schornstein fegen wird. Drinnen biegt sich die 23-Jährige durch die Dachluke und balanciert über einen Tritt und mehrere Ziegel zum Schornstein. Von hier aus hat sie eine gute Aussicht über das vorstädtische Reihenhausgebiet. Sie zieht ihre Handschuhe an, hievt ihren Kehrbesen aus Edelstahl mit Bürste, Kugel und eingerolltem 15-Meter-Seil von der Schulter und macht sich an die Arbeit. Sie lässt die Kugel, die als Gewicht dient, bis zum Boden des Schornsteins hinab, zieht das Seil dann hoch und lässt die Bürste die Außenwände reinigen. Der Schornstein ist innerhalb weniger Minuten sauber.

„Das macht mir am meisten Spaß“, sagt Pauline Große mit rußgeschwärzter Nase. Als Nächstes geht sie zu einer Öffnung des Schornsteins im Erdgeschoss, der sogenannten Revisionskappe. Manchmal findet sie dort Überraschungen, zum Beispiel tote Flugtiere oder frisch verbaute Dämmwolle, erzählt Große, während sie den Ruß und die Asche aufkehrt.

Laut Klimaschutzgesetz soll die Wärmeversorgung in Deutschland bis 2045 CO2-neutral sein. Statt rußender Öfen und Öl- oder Gasheizungen sollen dann Technologien wie Wärmepumpen Häuser und Wohnungen beheizen. Wie wirkt sich das auf den Beruf aus, den Pauline Große gerade lernt?

Noch wird das Schornsteinfegerhandwerk seinem Namen gerecht. Das Fegen von Schornsteinen und das Messen der Abgaswerte von Gasheizungen gehören zum Alltag. Heute und auch noch morgen. Doch auch schon heute sind die Auswirkungen der Wärmewende zu spüren. Arbeitsbereiche brechen weg, Aufgaben verschieben sich. Werden zum Beispiel mehrere Mehrfamilienhäuser an ein Fernwärmenetz angeschlossen, werden die alten Gas- und Ölheizungen abgebaut. Für das Schornsteinfegerhandwerk heißt das weniger Messungen und Wartungen, sprich: weniger Aufträge.

Aber: „Die Arbeit stirbt nicht aus, man muss sich einfach weiterbilden“, sagt Meistergesellin Joke Hesse, die im Erdgeschoss mit dem Hauseigentümer spricht. Sie arbeitet im selben Betrieb wie Pauline Große. In ihrem Ausbildungsbetrieb arbeiten nur Frauen. Das ist eine Seltenheit. Bundesweit beträgt der Frauenanteil unter Schorn­stein­fe­ge­r:in­nen 10 Prozent.

Pauline Große hat einen Vokuhila, 20 Armbänder aus Urlauben und von Festivals, 17 Piercings und 13 Tattoos. Das letzte kam im ersten Lehrjahr dazu, ein kleiner Schornsteinfeger auf dem Bein, gestochen von einer anderen Auszubildenden aus der Berufsschule. Dass sich das Schornsteinfegerhandwerk mit der Energiewende verändert, war ihr vor der Ausbildung nicht bewusst. In der Lehre habe sie dann aber schnell bemerkt, wie zukunftsorientiert die Ausbildung ist. Heute sind Sätze von ihr zu hören wie: „Klimaneutralität ist die Zukunft, auch die des Schornsteinfegerwesens.“

Die traditionellen Aufgaben werden irgendwann weniger werden, dafür kommen mehr technische Aufgaben hinzu, ist sie sich sicher. Die Ausbildung jedenfalls passt sich an die veränderte Realität an. Anfang August ist eine neue Ausbildungsordnung in Deutschland in Kraft getreten. Sie legt noch mehr Fokus auf moderne Tätigkeitsfelder wie Lüftungstechnik und Energieeffizienz. Neu ist auch der Studiengang Erneuerbare Energien an der Hochschule Rottenburg mit dem Wahlschwerpunkt Schornsteinfegerwesen.„Das ist dann noch mal ein ganz anderes Berufsbild“, sagt Pauline Große.

„Klimaneutralität ist die Zukunft, auch die des Schornstein­fegerwesens“

Pauline Große, Auszubildende

Nächstes Haus, diesmal ohne Fegen. Joke Hesse holt ein Klemmbrett aus dem Auto, darauf Zettel mit Notizfeldern und Tabellen. Sie stehen vor einem Einfamilienhaus, aus dem ein Zweifamilienhaus werden soll. Für die zukünftige Vermietung der beiden Wohnungen braucht der Eigentümer einen Energieausweis. Dieser ist seit 2009 bei Verkauf oder Vermietung von Wohngebäuden Pflicht. Joke Hesse ist zertifizierte Energieberaterin, das ist bei Schorn­stein­fe­ge­r:in­nen nicht ungewöhnlich. Diesmal soll Pauline Große die Daten für den Energieausweis zusammentragen.

Wie groß ist das Haus? Welche Dämmung ist verbaut? Wie wird geheizt? All das erhebt Große für den Ausweis. Die Theorie lernt sie in der Schule, die Praxis mit Joke Hesse. Ob die Ausweise und daran anschließenden Empfehlungen für mehr Energieeffizienz eine Wirkung hätten? „Ganz unterschiedlich“, sagt Hesse, „wenn jemand sowieso daran interessiert ist, sein Haus zu sanieren und dafür eine Bestandsaufnahme braucht, ja, aber wenn jemand verkauft oder vermietet, eher nicht“.

Über den ständigen Kundenkontakt kämen die Themen Energieeffizienz und Energiewende immer wieder ganz von alleine auf, sagt Joke Hesse. „Meistens gibt es nicht nur eine Lösung, um Energie und Geld zu sparen.“ Es seien viele Faktoren wichtig, um herauszufinden, welches Heizsystem am meisten Sinn ergebe, zum Beispiel die Anzahl der Personen im Haushalt.

Durch die Energiewende stehen Schorn­stein­fe­ge­r:in­nen weniger auf Dächern, sondern mehr vor Häusern und stellen Energieausweise aus

Auch der Kunde von heute Morgen überlegt, sich eine Wärmepumpe zuzulegen. Darüber haben Hesse und Große mit ihm gesprochen, nachdem sie den Schornstein gefegt haben. Seine Gasheizung sei 8 Jahre alt, da falle die Förderung eher geringer aus und die restlichen 25.000 Euro habe er nicht, erzählte er.

Die Grundförderung liegt aktuell bei 30 Prozent und kann unter anderem bei niedrigem Haushaltseinkommen oder dem Austausch einer mindestens 20 Jahre alten Gasheizung aufgestockt werden. Auch hier soll das Schornsteinfegerhandwerk zukünftig eine Rolle bei der Qualitätssicherung spielen. Es wird aktuell über Prüfzyklen, ähnlich wie bei Kaminöfen und Gasheizungen, gesprochen. Es gibt bereits Lehrgänge zu Wärmepumpen für Schornsteinfeger.

Eine wichtige Rolle bei den Empfehlungen und Beratungen der Schorn­stein­fe­ge­r:in­nen spiele ihre Neutralität, sagt Pauline Große. Sie verkaufen nichts, sondern erfüllen eine Dienstleistung. „Wenn wir nach Empfehlungen zu einem neuen Heizsystem gefragt werden, ist das auch ein Zeichen von Vertrauen“, sagt Große.

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