Press-Schlag: Volle Kanne Identität
■ Wo das Revier noch Revier sein darf
Wahrscheinlich hat es sich inzwischen auch bis in den Schwarzwald oder ähnliche Regionen, in denen man saubere Luft für ein Grundrecht hält, herumgesprochen, daß man im Ruhrgebiet nicht mit der Gasmaske vor die Tür muß. Wg. Strukturwandel und so. Die Fördertürme sind musealisiert, die Schlote gesprengt, die Menschen können inzwischen Deutsch ohne Grammatikfehler sprechen und gehen ihrer Arbeit in Versicherungen nach. Da machen sie sich nicht mehr die Finger schmutzig, tragen bunte Krawatten, Brillen mit so neumodischen Gestellen und finden es irgendwie komisch. Und das mit Recht. Schließlich gibt es so nichts mehr, was ihre langweilige Existenz von der ihrer Kollegen in Oldenburg oder Schweinfurt unterscheidet.
Also bleibt ihnen nur das Fußballstadion, wo sie alles wieder verlernen und hemmungslos „auf Schalke“ sagen, wo sie doch wissen, daß es „in Schalke“ oder „bei Schalke“ heißt. So ist man halt den Papas und Opas mit der Staublunge näher. Und vielleicht steht auch der ein oder andere Original-Proll herum, der noch richtig malocht oder echt arbeitslos ist, mit dem man dann beim Bier fraternisiert. Gestandenen Identitätstheoretikern würde dazu bestimmt eine Menge einfallen. Hier soll nur darauf hingewiesen werden, daß es für so etwas außerhalb der Stadien wohl keinen Ort gibt, außer Vorabendserien, wo die Helden immer „hömma“ oder „boh ey“ sagen müssen (bedeutet übrigens „hör mal“ und „boh ey“).
Weil Fußball aber besser ist als Fernsehen, verfiel das Revier in der letzten Woche schon mal in einen halbhysterischen Zustand, der seit Samstag in einen komplett durchgedrehten gemündet ist. Denn mit der Meisterschaft von Borussia Dortmund, der UEFA-Pokal- Qualifikation von Schalke 04 und dem So-gut-wie-sicheren- Wiederaufstieg des VfL Bochum ist ein ruhrzonales Fußball-Triptychon höchster Güte entstanden. Volle Kanne Identität sozusagen, über alle Konfessionen hinweg. Bochums Manager Hilpert wollte zwecks Mega-Party gar den Ruhrschnellweg sperren lassen. Zur Strafe mußte der VfL seinen Aufstieg noch ein paar Tage verschieben. Schalke- Trainer Berger sprach von einem „denkwürdigen Tag fürs Revier“. Der Mann hat gut reden, hat er doch schon zum zweiten Mal die Borussen so gedemütigt, daß sie bei Schalke- Toren jubeln mußten. Doch zur Zeit überwiegt halt das Gemeinsame. In den Stadien zwischen Duisburg und Dortmund hat sich der seltsame Schlachtruf „Ruhrpott! Ruhrpott!“ eingebürgert, dann stimmen alle ein, wenn gesungen wird: „Ruhrpottkanaken, wir sind die Ruhrpottkanaken!“ Und nächste Saison zeigen wir euch dann wirklich, wo der Hammer hängt. Christoph Biermann
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen