: Voll abwaschbare Kunst
■ Die Magie der Armut ist verweht: Richard Long in Bremerhaven
„Noch etwas ganz besonderes, meine Damen und Herren: Richard Long ist nicht da.“ Genau gesehen war es keine sehr große Überraschung, daß der englische Bildhauer zur Eröffnung der kleinen Retrospektive in Bremerhavens Kunsthalle nicht angereist war. Long, der in den sechziger Jahren die sogenannte Land-Art mitbegründet hatte, läßt sich in der Kunstszene kaum blicken.
Er liebt es, menschenleere Landschaften zu durchwandern und schnell vergehende Zeichen zu setzen. Er schafft Schlammbilder auf Felswänden, die beim nächsten Regen wieder abgewaschen werden, Spiralen aus Algen am Strand, Kreislinien im Sand. Steine sind die wichtigsten Beutestücke seiner Wanderungen. Long legt sie in den Kunsthallen aller Welt in Form von Rechtecken, Kreisen oder Spiralen wieder aus.
In Bremerhaven wird zum ersten Mal die Privatsammlung einer Galeristin aus Möchengladbach gezeigt. 17 Meter lang ist das Hauptstück, ein Vinylband, auf dem mit Acrylfarbe ein zufallsbestimmtes Fleckenmuster festgehalten ist. Wer sich bückt und genauer hinsieht, entdeckt, wovon diese milchfarbene „Waterline“ (1989) lebt. Es sind die Zwischentöne, die Schleierfarben zwischen Schwarz und Weiß, die feinnetzigen Spuren aufgeplatzter Farbblasen. Aber von weitem bleibt das Bodenrelief ebenso leblos wie die zu einem Band gelegten „Six Stones“ (1977), verschiedenfarbige Feldsteine aus verschiedenen Schweizer Landschaften, oder die „Napoli Circles“, kreisrunde Streifen aus gesplitterten Lavasteinen.
Diese Ikonen einer längst kanonisierten Avantgarde haben die Magie der Armen Kunst längst verloren. Was bleibt, sind Ornamente, mit denen sich eine ratlose Gesellschaft schmücken kann. Trotzdem setzt Long Zeichen: Zwei unscheinbare grafische Arbeiten zum Beispiel: Schlammbilder von 1989. Zart ist das Fließen des Materials auf Papier festgehalten; darin bilden die Spuren heruntergelaufener Wassertropfen ein Netz aus Linien. So fein und leise kann die Erinnerung an einen Aufbruch sein. Hans Happel
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