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Volkszählung light

Prozesse gegen Mikrozensus: HamburgerInnen klagen gegen staatliche Datenschnüffelei  ■ Von Ulrike Winkelmann

„Wem nützt das?“: Das sei, sagt Anwalt Ernst Medecke, die zentrale Frage, mit der sich der Mikrozensus aushebeln lassen müßte. Warum will das Statistische Landesamt wissen, wie groß meine Wohnung ist, an welche Stellen gelangt die Information, wie wird damit gearbeitet? All dies wollen drei zur Befragung Auserwählte zusammen mit Medecke jetzt vom Oberverwaltungsgericht (OVG) klären lassen.

Der Mikrozensus, Volkszählung light, wird jedes Jahr durchgeführt und trifft jeweils ein Prozent der Bevölkerung – 8600 Haushalte mit 17.000 HamburgerInnen, welche dann vier Jahre lang auskunftspflichtig sind. Alle Haushalte in einem Wohnblock bekommen erst ein Briefkastenwurfschreiben oder auch Besuch von einem Interviewer, und bald darauf einen ganzen Stapel Fragebögen mit rund 130 Fragen zu Wohnung, Weg zum Arbeitsplatz, Kind, Kegel, Krankenkasse. Wer nicht antwortet, zahlt 250, 750, zuletzt 1000 Mark plus Bearbeitungsgebühr, die auch vom Lohn abgezweigt werden können. Ein höheres Strafmaß ist im Mikrozensusgesetz vom Januar 1996 nicht vorgesehen.

Auch Carsten Buschick hat der Mikrozensus befallen. Er hat die Auskunft verweigert – das OVG wird feststellen, ob er die deshalb verhängte Strafe von 250 Mark für die Auskunftsverweigerung zahlen muß. Buschick sind die Fragen erstens zu intim, und zweitens „gehen sie in den diskriminierenden Bereich“ – nach dem Geburtsort wird gefragt, Ausland bitte ankreuzen. Anonymität sei nicht gewährleistet: „Es sieht so aus, als wenn sich mit den Daten ein Persönlichkeitsbild erstellen ließe.“ Es sei EDV-technisch bewiesen, wie leicht sich die zur Antwort Gezwungenen mit den Daten re-identifizieren ließen. Im übrigen, sagt auch Medecke, könnten die DatensammlerInnen aus der Nachbarschaft kommen, „spätestens an der Bushaltestelle sieht man sich wieder.“

„Nachbarschaftsprobleme“, bestreitet Peter Schaar, stellvertretender Hamburger Datenschutzbeauftragter, „können wir nicht bestätigen“. Aber die Möglichkeit der Re-Identifizierung einzelner „kann man nicht schlichtweg leugnen“. Problematisch seien bei der letzten Prüfung des Mikrozensus-Verfahrens allerdings Fälle gewesen, in denen etwa Sozialarbeiter im eigenen Stadtteil als Interviewer eingesetzt worden seien: „Insgesamt ließ die Auswahl der Zähler nach beruflichen Aspekten zu wünschen übrig.“ Außerdem sei die Anonynisierung der Daten unvollständig gewesen, die Meldebehörden hätten Daten an das Statistische Landesamt übermittelt, als dies noch gar nicht zulässig war. Die Daten seien zudem nicht gelöscht worden – „das ist vergessen worden“.

Alternative zum Zensus, meint Anwalt Medecke, wäre höchstens eine freiwillige Befragung einzelner Sachverhalte mit Zweckangabe. „Wenn etwa der HVV ankündigte, daß er um der Verbesserung des Busliniensystems willen Angaben zu Arbeitswegen bräuchte, kämen sicherlich schnelle Rückmeldungen.“ Denn ob die Fragen wahrheitsgemäß beantwortet werden, kann niemand wissen und auch nicht erzwingen.

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