Volkswirt über Steuerreform: "Die Regierung wird unglaubwürdig"
Statt Familien zu begünstigen, muss die Koalition Firmen stärker entlasten, sagt Volkswirt Ralph Brügelmann. Und die Ankündigung des Landes Berlin, gegen die Reform zu klagen sei für ihn machttaktisch.
taz: Herr Brügelmann, das Land Berlin droht der Koalition mit einer Verfassungsklage, weil die geplante Steuerreform die Länder belastet. Zu Recht?
Ralph Brügelmann: Ich halte das für eine Nebelkerze. Eine Steuerreform ist im Bundesrat zustimmungspflichtig, die Länder haben also bei dieser Frage einen demokratischen Hebel. Hinter dieser Drohgebärde stecken andere Motive.
Nämlich welche?
Die Länder werden darauf drängen, dass sich an ihrer Finanzausstattung durch eine Steuerreform des Bundes nichts ändert. Wenn sie weniger Einnahmen durch Einkommensteuern hätten, könnte der Bund das über die Verteilung der Mehrwertsteuer ausgleichen. Für solche Verhandlungen baut Berlin bereits jetzt eine Position auf.
Das Bruttoinlandsprodukt schrumpft, die Lohnsumme wird 2010 sinken. Ist da eine Steuerentlastung von 24 Milliarden Euro realistisch?
Entscheidend ist, wie die Regierung die Entlastungen staffelt. Es wäre in der Tat falsch, das geplante Volumen von 24 Milliarden Euro im Jahr 2011 zu verteilen. Stattdessen muss die Koalition Änderungen Schritt für Schritt anstreben. Ich gehe davon aus, dass die letzte Stufe der Steuerreform sowieso erst Ende der Legislaturperiode greifen wird. Außerdem steht Schwarz-Gelb die Möglichkeit offen, die Reform bis über 2013 hinauszustrecken.
Im nächsten Jahr muss die Regierung 86 Milliarden Euro neue Kredite aufnehmen. Verabschiedet sie sich von seriöser Haushaltspolitik?
Es ist problematisch, wenn sich der Staat bis an die Grenze des Zulässigen verschuldet. Der Großteil der Neuverschuldung resultiert aus der Bekämpfung der Wirtschaftskrise. Wenn die Regierung nun eine Schippe drauflegt, muss diese Wachstum fördern. Das tun aber kostspielige familienpolitische Maßnahmen wie das Kindergeld nicht. Wenn die Regierung auf solche Verteilungsmaßnahmen fokussiert, wird sie ein Glaubwürdigkeitsproblem bekommen.
Weil gut verdienende Familien ihr Geld aufs Sparkonto legen, statt es auszugeben?
Nein, Konsum allein fördert Wachstum nicht nachhaltig. Wichtiger ist die stärkere Entlastung von Investitionen - sowohl in Köpfe als auch in Unternehmen. Im Moment können Firmen durch die Zinsschranke gezahlte Kreditzinsen unter Umständen nicht voll abziehen. Dieser Mechanismus verstärkt sich in Krisenzeiten und erhöht das Insolvenzrisiko. Diese Zinsschranke sollte abgeschafft werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Christian Lindner
Die libertären Posterboys
Außenministerin zu Besuch in China
Auf unmöglicher Mission in Peking
Olaf Scholz’ erfolglose Ukrainepolitik
Friedenskanzler? Wäre schön gewesen!
Rücktrittsforderungen gegen Lindner
Der FDP-Chef wünscht sich Disruption
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht