Volkswirt Zwiener über Niedriglöhne: "Wir haben die niedrigsten Zuwächse"
Volkswirt Rudolf Zwiener über Deutschland als Exportweltmeister, Niedriglöhne und ein neues Wirtschaftsmodell. Denn das niedrige Konsumniveau rührt aus der schwachen Lohnentwicklung.
taz: Herr Zwiener, Deutschland bildet bei der Reallohnentwicklung im europäischen Vergleich das Schlusslicht. Warum?
Rudolf Zwiener: Wir sind darauf fixiert, Exportweltmeister zu bleiben. Deshalb versuchen wir, extrem wettbewerbsfähig zu sein und haben im Vergleich zu anderen europäischen Ländern mit die niedrigsten Lohnzuwächse.
Gibt es noch andere Gründe?
Europäische Einkommensentwicklung: Nach einem neuen EU-Bericht stiegen die Einkommen in Deutschland 2008 real nur um 0,1 Prozent, 2007 gingen sie gar um 0,1 Prozent zurück. Damit gehört Deutschland zu den Schlusslichtern in Europa: Im EU-Durchschnitt hatten Arbeitnehmer 2008 1,3 Prozent mehr Geld in der Tasche, 2007 sogar 3,6 Prozent.
Lohngleichheit: Auch bei der Frage nach gleichen Löhnen für Männer und Frauen findet sich Deutschland auf den hinteren Tabellenplätzen wieder: Frauen im deutschen Staatsdienst verdienten im Jahr 2008 7 Prozent weniger als ihre männlichen Kollegen, in der Privatwirtschaft sind es sogar 23 Prozent weniger. Nur in Zypern, den Niederlanden, der Slowakei und Estland sind die Einkommensunterschiede zwischen den Geschlechtern noch größer. In der EU verdienen Frauen in der Privatwirtschaft durchschnittlich jedoch "nur" 16,6 Prozent weniger.
Privater Konsum: Anfang 2008 gaben Verbraucher in Deutschland gerade einmal 4 Prozent mehr Geld für Güter und Dienstleistungen aus als das Anfang 2000 der Fall war. Das Bruttosozialprodukt stieg im selben Zeitraum jedoch um 12 Prozent an. EU-Bürger leisteten sich im selben Zeitraum durchschnittlich 20 Prozent mehr Ausgaben für den privaten Verbrauch.
*******
Rudolf Zwiener lebt in Düsseldorf und arbeitet seit 2005 beim Institut für Makroökonomie der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Direktor des IMK ist Gustav Horn, Zwiener leitet dort das Referat für wirtschaftspolitische Beratung. Er ist Spezialist für Geld- und Lohnpolitik.
Wir haben keine Mindestlöhne, wir hatten die vielfältigen Auswirkungen der Agenda 2010, man hat Leiharbeit gefördert und durch die starke Expansion im Bereich der 400-Euro-Jobs entstand zusätzlicher Druck die Löhne. All das hat eine starke Veränderung in der Einkommensverteilung befördert.
Schwache Löhne zum Wohl des Exportsektors - in der Krise sind die Ausfuhren aber eingebrochen. Brauchen wir ein anderes Wirtschaftsmodell?
Ja. In Deutschland müssen Exportsektor und Binnennachfrage gleich stark wachsen. Weil wir im letzten Jahrzehnt die Binnennachfrage vernachlässigt und nur auf Exportsteigerung gesetzt haben, wurden wir besonders stark von der Krise getroffen.
Mancher Wirtschaftsexperte sieht schon Zeichen für eine Exporterholung - Sie auch?
Wir sehen leichte Erholungstendenzen auf sehr niedrigem Niveau. Aber keine Anzeichen, dass sich diese Tendenzen nennenswert beschleunigen.
Auch beim privaten Konsum, hinkt Deutschland hinterher - auch ein Ergebnis der niedrigen Einkommen?
Zum ersten Mal seit Jahren haben etliche Haushalte, die nicht von Kurzarbeit oder Arbeitslosigkeit betroffen sind, reale Einkommenssteigerungen erlebt. Das liegt aber nur an der krisenbedingt niedrigen Inflationsrate, geht also auch wieder vorbei. Das niedrige Konsumniveau rührt aus der schwachen Lohnentwicklung - und zwar in der gesamten Bandbreite, mit Ausnahme nur der ganz hohen Löhne. Die Lohnsteigerungen sollten sich an der Zielinflationsrate der Europäischen Zentralbank und an den Produktivitätsfortschritten oreintieren.
Durchschnittlich sinkende Bruttolöhne durch die Ausweitung der Kurzarbeit könnten dazu führen, dass schon 2010 die so genannte Rentengarantie greift. War die Zusage der Garantie vernünftig?
Man hätte sie vermeiden können. Es wäre vernünftiger gewesen, den Effekt der Kurzarbeit aus der Rentenformel rauszunehmen, so dass deren Auswirkungen keinen Einfluss auf die Rentenberechnung nehmen können. Die Rentengarantie im Zuge des Wahlkampfs schmeckte nach einem politischem Geschenk und hat das Rentensystem unnötig diskreditiert.
Kommt es nach der Krise zu einer Ausweitung von Niedriglohnjobs und Leiharbeit?
Wenn man nicht gegensteuert, wird der Anteil der Leiharbeiter ansteigen und höher liegen als vor der Krise. Das sollte verhindert werden. Die Krise hat bisher vor allem Personen betroffen, die in der Industrie und im Exportsektor arbeiten. Wenn dort die Arbeitslosigkeit zunimmt, wird weniger eingekauft. Das trifft dann auch den Dienstleistungssektor, wo sich ja v.a. die Niedriglohneinkommensbezieher konzentrieren. Wir müssen den extremen Anstieg der Niedrigeinkommensjobs, reduzieren.
Wie sollte gegengesteuert werden?
Deutschland braucht als eines der letzten Länder in Europa dringend einen allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn. Der garantiert, dass es nicht zu einer weiteren Verschlechterung bei den niedrigen Einkommen kommt. Man schaut in der Wirtschaftspolitik ja gerne auf die angelsächsischen Länder - warum orientiert man sich nicht auch bei den Mindestlöhnen an ihnen?
Welche Mittel gibt es, um die hohe Staatsverschuldung abzubauen?
Die Staatsverschuldung sollte überhaupt erst abgebaut werden, wenn wir aus der Krise wirklich raus sind. Die Verschuldung ist auch nicht grundsätzlich das Problem. Viel wichtiger ist es, eine Wiederholung dieser Krisen zu vermeiden. Die Finanzmärkte in Zukunft müssen stabiler reguliert werden. Es braucht eine Transaktionssteuer auf Finanzgeschäfte, darüber kann dann auch ein Teil der Staatsausgaben wieder reinkommen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Christian Lindner
Die libertären Posterboys
Außenministerin zu Besuch in China
Auf unmöglicher Mission in Peking
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Comeback der K-Gruppen
Ein Heilsversprechen für junge Kader
Olaf Scholz’ erfolglose Ukrainepolitik
Friedenskanzler? Wäre schön gewesen!
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?