„Volksverdummung hoch zehn“

GELD Der NRW-Finanzminister erwartet langes Gezerre um den Länderfinanzausgleich. Er ist empört, dass die Union die Länder nicht an den Soli-Einnahmen beteiligen will

NRW wolle nicht mehr der „friedliche große Bruder“ sein, sagt Minister Walter-Borjans

VON ANJA KRÜGER

DÜSSELDORF taz | Eines kann der nordrhein-westfälische Finanzminister Norbert Walter-Borjans gar nicht haben: wenn man ihm mit der schwäbischen Hausfrau kommt, die keine Schulden macht. „Der Staat ist keine schwäbische Hausfrau“, sagt der Sozialdemokrat dann. „Abgesehen davon: Auch die schwäbische Hausfrau nimmt einen Kredit auf, um ihr Häuschen abzubezahlen.“ Geradezu in Rage gerät er nach dem Hinweis, dass andere Länder Schulden tilgen statt – wie NRW – welche zu machen. „Sechs Länder im Osten Deutschlands können bei deutlich höherem Ausgabevolumen Schulden tilgen, weil sie durch den Länderfinanzausgleich hohe Einnahmen haben“, ärgert der 62-Jährige sich im Gespräch mit der taz. „Es kann nicht sein, dass wir Kredite aufnehmen müssen, damit die anderen so gut dastehen.“

Die Opposition im Düsseldorfer Landtag geißelt Walter-Borjans als Schuldenmacher, weil er keinen ausgeglichenen Haushalt vorgelegt hat. Tritt ab 2020 die Schuldenbremse in Kraft, könnte es eng werden für das Bundesland. Auch deshalb drängen Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) und ihr Finanzminister auf eine Neuregelung beim Länderfinanzausgleich, bei der definitiv mehr Geld nach NRW fließt. Morgen werden die festgefahrenen Verhandlungen zur Finanzreform wieder aufgenommen. Die bisherigen Verteilungsregeln müssen neu ausgehandelt werden, weil 2019 der Solidarpakt II und andere Finanzgesetze auslaufen, die unter anderem den Solidaritätszuschlag regeln. Dabei gibt es zwei Marktplätze: auf dem ersten wird über die Finanzströme zwischen Bund und Ländern gefeilscht, auf dem zweiten über Geldtransfers zwischen den Ländern.

Am Sonntag haben sich die MinisterpräsidentInnen der rot-grünen Regierungen in Düsseldorf auf einen gemeinsamen Kurs auf dem ersten Marktplatz verständigt. Sie fordern vom Bund die Beibehaltung des Solidaritätszuschlags, der aber nicht mehr nur dem Osten zugute kommen, sondern Teil der Einkommensteuer werden soll. An die Länder könnten so zusätzliche 8 Milliarden Euro fließen. Ursprünglich stammt diese Idee aus einem gemeinsamen Papier von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) und dem Hamburger Bürgermeister Olaf Scholz (SPD). Kanzlerin Angela Merkel und andere Unions-Politiker haben sich jetzt aber dagegen ausgesprochen. Auch das bringt den nordrhein-westfälischen Finanzminister in Rage. „Was CDU und CSU machen, ist Volksverdummung hoch zehn“, sagte Walter-Borjans. „Die Kanzlerin war es, die sich vor der Bundestagswahl klipp und klar gegen die Abschaffung des Soli ausgesprochen hat.“ Die Union schlage Schäubles eigenen Vorschlag aus, ohne eine Alternative zu bieten. „Was da jetzt in Berlin abgeht, ist der durchsichtige Versuch, die Mittel aus dem Soli, die für die Sanierung von Straßen, Brücken und Schienen dringend gebraucht werden, für die Sanierung des Bundeshaushalts einzuheimsen und sich nebenbei noch als Schutzpatron der Steuerzahler darzustellen.“

Weitere Details der gemeinsamen Marschroute der roten und des grünen MinisterpräsidentInnen in den Verhandlungen mit dem Bund sind nicht bekannt. Dass sie auch ihr Vorgehen auf dem zweiten Marktplatz abgestimmt haben – auf dem die Geldtransfers der Länder untereinander ausgehandelt werden –, ist unwahrscheinlich. Ihre Interessen sind zu unterschiedlich. NRW sieht sich an der Seite des CSU-regierten Bayern, des schwarz-grünen Hessens und des grünen-roten Baden-Württembergs. Alle klassische Einzahler. Dazu gehört NRW nur, wenn die Verteilung der Umsatzsteuer berücksichtigt wird.

Für Finanzminister Walter-Borjans ist das der entscheidende Hebel, mit dem er mehr Geld nach NRW lenken will. Zu den mehr als 8 Milliarden Euro, die die Länder untereinander umverteilen, kommen rund 7,5 Milliarden Euro aus der Umsatzsteuer. Dieses Geld will Walter-Borjans unbedingt in die Verhandlungen einbeziehen. „Wenn es keinen Finanzausgleich geben würde, wäre NRW um 1,7 Milliarden Euro reicher“, sagt der Minister. NRW wolle diese Summe nicht behalten. „Die Solidarität, die zu einer einigermaßen gleichen Verteilung in Deutschland führt, halte ich für sehr wichtig“, sagt er. „Wir reden nicht davon, die Verhältnisse umzukehren.“

Fest steht aber, dass NRW weniger Geld in den Finanzausgleich geben will. „Es kann nicht sein, dass wir uns am Ausbau anderer Länder beteiligen mit der Folge, dass wir für die eigene Infrastruktur und für Bildung kein Geld mehr haben“, sagt der Minister. „So funktioniert Solidarität nicht.“

Der Sozialdemokrat findet, dass NRW im jetzigen System des Finanzausgleichs nicht nur an diesem Punkt zu schlecht wegkommt: „Die Schieflage, die wir haben, hat auch damit zu tun, dass NRW in der Vergangenheit immer der große friedliche Bruder in der Runde war.“ Besonders ärgert ihn eine Regel, bei der sich einer der Vorgänger wohl über den Tisch ziehen ließ: Bei der letzten großen Reform des Länderfinanzausgleich war Peer Steinbrück NRW-Finanzminister. Sie brachte eine für das Land ungünstige Veränderung. Bis 2004 galt die höhere Gewichtung der Einwohner auch für Ballungsräume wie das Ruhrgebiet und nicht nur für die Stadtstaaten. „Das sind 600 Millionen Euro, die wir mehr hätten, wenn das noch gelten würde“, sagt Walter-Borjans. Kein Wunder, dass NRW gegen den Erhalt des „Stadtstaaten-Privilegs“ ist. Denn heute wird nur noch die Steuerkraft von Berlin, Bremen und Hamburg künstlich gesenkt, so dass sie besser dastehen. Allein Berlin bekommt so 3 Milliarden Euro aus dem Finanzausgleich. Begründet wurde das Stadtstaatenprivileg damit, dass die Großstädte ihre Infrastruktur auch für die Menschen aus dem Umland bereitstellen müssen. Unwahrscheinlich ist, dass sie keine Kompensationen erhalten, wenn die Mittel tatsächlich wegfallen. Doch wie sie aussehen könnten, ist offen. Vorschläge aus Bayern für mehr Steuerautonomie lehnt NRW ab. Rot-Grün fürchtet, dass das zu Steuerdumping führt. Der ursprünglich von NRW und anderen geforderte Fonds für Altschulden ist derzeit vom Tisch.

An eine schnelle Einigung glaubt Walter-Borjans nicht. „Das ist wie bei Tarifverhandlungen“, sagt er. „Wenn zu früh ein Ergebnis steht, haben entweder die Arbeitnehmer oder die Arbeitgeber etwas falsch gemacht.“