Volkspolizei unterhielt ein eigenes Spitzelnetz

■ „Informelle Mitarbeiter“ bespitzelten die ganze Republik

Berlin (taz) — Inoffizielle Mitarbeiter gab es nicht nur bei der Stasi. „Zur Verwirklichung der Politik der SED“ überzog auch die Deutsche Volkspolizei seit Mitte der fünfziger Jahre die gesamte DDR mit einem Netz von Spitzeln und Informanten. Hießen die Mitarbeiter beim früheren Ministerium für Staatssicherheit (MfS) „informelle“ oder „gesellschaftliche“ Mitarbeiter — ihre Zahl wird mittlerweile auf beinahe 500.000 geschätzt —, so trugen die entsprechenden Genossen der Polizei die Namen „Inoffizielle Kriminalpolizeiliche Mitarbeiter“ (IKM) oder „Kriminalpolizeiliche Kontaktperson“ (KK). Wie im MfS waren sie konspirativen Regeln unterworfen.

In der geheimen Richtlinie 002/81 (GVZ 013325) des Ministeriums des Inneren, die am 1.12.1981 in Kraft trat, ordnete der Oberst der Kriminalpolizei, Pietsch, an: „Die Hauptmethode der kriminalpolizeilich- operativen Bearbeitung von Personen oder Sachverhalten... ist der zielgerichtete und offensive Einsatz von Inoffiziellen Kriminalpolizeilichen Mitarbeitern (IKM).“ Eingesetzt wurden die IKM und KK im Arbeitsgebiet I (AG I) der Volkspolizei, zu dessen Hauptaufgaben die „Vorbeugung und Verhinderung der bedeutenden Straftaten“ zählte. Darunter fielen „ungesetzliche Grenzübertritte“ und „Angriffe auf die öffentliche Sicherheit und Ordnung", die „politische, ökonomische und ideelle Auswirkungen“ haben konnten. Schwerpunktmäßig sollten die geheimen Mitarbeiter die „speziellen und konspirativen Methoden auch zur Aufdeckung und Verhinderung von Störungen in Vorbereitung und Durchführung von politischen und gesellschaftlichen Höhepunkten und Veranstaltungen“ einsetzen. Die Inoffiziellen Mitarbeiter der Volkspolizei kamen zum Zuge, wenn „Täter oder Tätergruppen unter demonstrativer oder provokatorischer Mißachtung der sozialistischen Gesetzlichkeit“ drohten, Straftaten zu begehen.

Als Ergebnis der „Überprüfung und Verdichtung von Ausgangsinformationen“ war schließlich eine Kriminalakte anzulegen. Am Ende stand die „Übergabe des Sachverhaltes an die zuständige Dienstelle des MfS“. Auch „bedeutsame Veränderungen bei der polizeilich-operativen Bearbeitung“ wurden mit der Stasi abgestimmt.

Der Staatssicherheitsdienst profitierte aber nicht nur, er lenkte auch. Bei der Planung und Durchführung der sogenannten kriminalpolizeilich-operativen Tätigkeiten war er stets dabei. Schließlich saßen in den Schlüsselpositionen der entsprechenden Polizei-Abteilungen auch MfS-Mitarbeiter, die „Offiziere im besonderen Einsatz“ (OibE). Zuständig dafür war die Hauptabteilung VII, das auf jeder Ebene des Innenministeriums und der Volkspolizei seine Offiziere sitzen hatte. In einer geheimen Verschlußssache des Stasi-Ministers Mielke (GVS MfS 008 26/87) vom 14.5. 1987 wurde festgeschrieben, „die OibE haben die in dienstlichen Bestimmungen und Weisungen festgelegten Sicherheitserfordernisse und Interessen des MfS hinsichtlich der Aufgaben und Arbeitsweise des AG I (der Volkspolizei) konsequent durchzusetzen“. Die Deutsche Volkspolizei war damit verlängerter Arm der Stasi-Krake.

Die Arbeit der IKM durfte in der Öffentlichkeit nicht bekannt werden. Dafür wurden sie mit Decknamen ausgestattet. In der geheimen Richtlinie 001/78 aus dem Jahre 1978 wurde das Instrumentarium der verdeckten Kripo-Mitarbeiter beschrieben: „Bei ihrer inoffiziellen Arbeit wenden sie entsprechend den operativen Erfordernissen und dem Grad ihrer Zuverlässigkeit konspirative und geheimzuhaltende Mittel an.“ Die gewissenhafte und ehrliche Erfüllung der übertragenen Aufgaben war „materiell und ideell zu würdigen“ — Spesen wurden ersetzt.

Entsprechend ihren Aufträgen wurden die IKM unterschieden. IKMO stand für diejenigen, die „operative Aufgaben“ wahrnahmen. Das Kürzel IKMS trug, wer als „zur Lösung von konspirativen Spezialaufgaben“ herangezogen wurde. Aus Kreisen der „Rechtsbrecher, Asozialen und Rückfälligen“ wurden die IKMR rekrutiert. Neben Mitarbeitern „mit besonderer Aufgabenstellung“ (IKMA) gab es noch die Inhaber von Treffquartieren (TQ). Alle IKM und KK wurde von sogenannten „Leitenden inoffiziellen kriminalpolizeilichen Mitarbeitern“ angeleitet. Als IKM verpflichtete man sich schriftlich. Die Besonderheit der „Kriminalpolizeilichen Kontaktpersonen“ (KK) lag im Gegensatz zu den IKM darin, daß „sie nicht in die direkte Bearbeitung durch die Herstellung vertraulicher und persönlicher Beziehungen zu verdächtigen Personen einzubeziehen sind“.

Im Schatten der Stasi-Auflösung ist die Rolle der Volkspolizei bei der Verfolgung Oppositioneller bisher weitgehend unbeachtet geblieben. Innenminister Diestel (CDU) ist den Spuren der Stasi-Verquickungen seiner Volkspolizei bislang nicht nachgegangen. Von der Entlassung enttarnter OibE einmal abgesehen, hat es im Polizeiaparat Diestels auch keine personellen Konsequenzen gegeben. Das Spitzelnetz der Volkspolizei wurde bislang auch nicht aufgedeckt, und das Arbeitsmaterial der VP-Abteilung I soll — so wollen es Insider wissen — nicht aufzufinden sein. Akten mit den polizeieigenen Spitzelberichten muß es in den Polizeidienststellen aber massenhaft gegeben haben. Wolfgang Gast