Volksentscheid: SPD uneins über Netz-Kauf
Internes Heft der SPD-Linken unterstützt Referendum der Netz-Initiative für die Strom, Gas und Fernwärmenetze und stellt sich gegen Bürgermeister Olaf Scholz.
HAMBURG taz | Es ist ein Affront gegen den Hamburger Bürgermeister und SPD-Landesvorsitzenden Olaf Scholz. Mit dem Ende der Sommerferien beginnt der Endspurt beim Volksentscheid über die Rekommunalisierung der Versorgungsnetze für Strom, Gas und Fernwärme – und in einer am gestrigen Montag veröffentlichten zwölfseitigen Broschüre fordern etliche SozialdemokratInnen ein „Ja“ zum Referendum am 22. September: „Energienetze in öffentlicher Hand!“ lautet der Titel des neuen Hamburger Diskurs.
Mit diesem SPD-internen Heft sollen „einige zu schlichte ’Argumente‘ in Frage gestellt“ und eine „Entscheidungshilfe durch zusätzliche Informationen“ geliefert werden, heißt es im Editorial. Damit solle „die nicht wirklich geführte Diskussion in der SPD“ angeregt werden, sagt Carola Ensslen. Die 52-jährige Rechtsanwältin ist Vize-Chefin des SPD-Distrikts Eimsbüttel-Nord und stellvertretende Chefredakteurin des Hamburger Diskurs. Das ist das informelle Organ des „Forums Demokratische Linke / DL 21“ in der SPD. In der Partei sei die Willensbildung jedoch „von oben nach unten verlaufen“, kritisiert Ensslen, das Heft solle zeigen, dass die SPD „immer noch eine Partei der Meinungsäußerungsfreiheit aller Mitglieder“ sei.
Die Initiative „Unser Hamburg – Unser Netz“ will, unterstützt von Grünen und Linken, die Energienetze vollständig rekommunalisieren. Senat und SPD in der Bürgerschaft wollen aber an den Verträgen mit Vattenfall und Eon festhalten, in denen die Stadt sich mit jeweils 25,1 Prozent an den drei Betriebsgesellschaften beteiligt.
Das Bündnis "Unser Hamburg - Unser Netz" tritt für den Rückkauf der privatisierten Energienetze ein. Das Volksbegehren war im Juni 2011 mit 116.197 Unterschriften erfolgreich.
Das Ziel: Die Initiative will die 100-prozentige Rekommunalisierung der Netze für Strom, Gas und Fernwärme. Durch Einnahmen sei das über 25 Jahre zu amortisieren.
Der Ist-Stand: Der Senat hat Anteile von je 25,1 Prozent an den drei Betreibergesellschaften zu einem Gesamtpreis von 543,5 Millionen Euro übernommen. Den vollen Kaufpreis von weiteren rund 1,5 Milliarden Euro hält er für nicht finanzierbar.
Die Entscheidung: Das Referendum findet zusammen mit der Bundestagswahl am 22. September 2013 statt.
Nach Ansicht des Senats ist der Preis für 100 Prozent nicht finanzierbar, laut Hamburger Diskurs jedoch sind Kaufpreis und Zinsen „mit der Rendite problemlos zu tragen“. Ein Stadtwerk könne „gezielt auf erneuerbare und verbraucherfreundliche Energien ausgerichtet“ werden, zudem bleibe die gesamte Wertschöpfung in der Stadt. Zugleich erinnert das Autorenteam daran, dass beide SPD-Vorgänger von Scholz im Amt des Bürgermeisters, Henning Voscherau und Ortwin Runde, sich für die Rekommunalisierung der Energienetze ausgesprochen haben. Noch im Regierungsprogramm 2008 des damaligen Bürgermeisterkandidaten Michael Naumann hieß es, ein SPD-geführter Senat werde unter Einschluss der Netze „die Gründung eines kommunalen Stadtwerks betreiben“. Im Wahlprogramm 2011 war nur noch von einem „strategischen Anteil von wenigstens 25,1 Prozent an den Netzen“ die Rede.
„Es war überfällig, dass nun auch kritische Stimmen in der SPD laut werden“, lobt Manfred Braasch, Vertrauensmann der Netz-Initiative. Es gebe viele Argumente für eine vollständige Rekommunalisierung, so Braasch, deshalb werde es „Zeit für eine offene Debatte innerhalb der Partei“.
„Wir haben uns dafür entschieden, die Energiewende mit den Energieversorgungsunternehmen zu gestalten und nicht gegen sie“, antwortet Senatssprecher Christoph Holstein. Vattenfall und Eon hätten sich zu Investitionen von 1,6 Milliarden Euro in moderne und klimaschonende Energie und Speichertechnik verpflichtet. Deshalb gehe es beim Volksentscheid auch darum, „ob diese Investitionen getätigt werden oder Hamburg über zwei Milliarden Euro bezahlen muss, um in erster Linie Kabel und Leitungen zu kaufen“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Rückzug von Marco Wanderwitz
Die Bedrohten
Repression gegen die linke Szene
Angst als politisches Kalkül