Volksentscheid gegen Minarette: Berlin ist nicht Bern
In der Hauptstadt sind die Minarett-Gegner nicht in der Mehrheit, glauben Politiker und Integrationsfachleute.
Die Schweizer haben in einer Volksabstimmung für ein Verbot neuer Minarette an Moscheen gestimmt. Auch Berlin kennt seit einigen Jahren das Instrument des Volksentscheids. Doch hier würde so ein Vorhaben keine Mehrheit finden, glauben PolitikerInnen verschiedener Parteien und ExpertInnen für Integration und Zivilgesellschaft. "Berlin ist eine Großstadt, das kann man nicht mit der Schweiz vergleichen", meint etwa Anetta Kahane, Vorsitzende der Amadeu-Antonio-Stiftung für demokratische Kultur. Zürich, die größte Stadt der Schweiz, hat gerade gut 350.000 Einwohner. In Berlin gibt es laut Kahane seit Langem eine Auseinandersetzung mit "rechtspopulistischen Einstellungen und der Instrumentalisierung von Furcht". Die Menschen hier "urteilen differenzierter", sagt sie.
Auch Canan Bayram, integrationspolitische Sprecherin der Grünen im Abgeordnetenhaus, räumt einem derartigen Volksbegehren keine Erfolgschancen ein: "Ich glaube an Berlin", so die Grüne: "Hier leben nicht so viele islamophobe Menschen." Rechtlich hält die Anwältin ein Verbot von Minaretten nicht für durchsetzbar: "Aber politisch betrachtet ist es erschreckend zu sehen, wie demokratische Werte in Abstimmungen wie dieser zugunsten der eigenen Islamangst aufgegeben werden", sagt Bayram.
Berlin habe ein solches Volksbegehren gar nicht nötig, meint Kurt Wansner, integrationspolitischer Sprecher der CDU. "Natürlich gibt es hier Menschen mit Ängsten", so der Christdemokrat. Die müsse man ernst nehmen und "eine offene Debatte ohne Scheuklappen" darüber führen. Grundsatz auch der CDU sei dabei das "gleichberechtigte Miteinander aller Menschen, Volksgruppen und Religionen".
Die hinter dem Schweizer Volksbegehren stehende Diskussion sei in Berlin abgeschlossen, glaubt Mieke Senftleben, religionspolitische Sprecherin der FDP-Fraktion. Hier sei klar: "Die Religionsfreiheit steht bei uns oben an, Minarette gehören dazu, also soll man sie auch akzeptieren. Es gibt hier kein Begehren für ein solches Begehren."
"Berlin ist nicht Bern", sagt auch Günter Piening, Integrationsbeauftragter des Senats. Zwar gebe es auch hier eine "Islamfeindlichkeit, die bis in die Mitte der Gesellschaft hineinreicht", aber in Konflikten etwa um Moscheebauten habe sich in den letzten Jahren immer "die tolerante Basis der Stadt" durchgesetzt, so Piening: "Hier wachsen die Türme der Islamkritiker nicht in den Himmel." Auf die leichte Schulter sei das Ergebnis der Schweizer Volksabstimmung aber nicht zu nehmen: "Es hat Signalwirkung und führt dazu, dass Muslime immer wieder die Grunderfahrung der Ausgrenzung machen müssen." Politisch Verantwortliche sollten deshalb "jetzt Signale der Zugehörigkeit senden".
Ein Gesetz gegen neue Minarette würde in Berlin auch deshalb nicht durchgesetzt werden, weil ein solches Vorhaben gegen die Landesverfassung und das Grundgesetz verstoßen würde. Dort ist die Freiheit der Religionsausübung festgeschrieben. Nur andere Grundrechte können diese Freiheit einschränken. Und es gibt kein Grundrecht darauf, nicht mit den Symbolen einer bestimmten Religion konfrontiert zu werden.
Doch obwohl ein solches Gesetz verfassungswidrig wäre, könnte es darüber zunächst eine Abstimmung geben. Der Berliner Verfassungsgerichtshof hatte im Oktober geurteilt, dass der Senat nicht vorab kontrollieren darf, ob ein Volksbegehren gegen die Verfassung verstößt. Dies darf erst überprüft werden, nachdem das Gesetz beschlossen wurde. Wenn eine finanzkräftige islamfeindliche Initiative ein Volksbegehren mit diesem Thema starten und genügend Unterschriften sammeln würde, gäbe es derzeit keinen Weg, eine Volksabstimmung inklusive monatelangem Wahlkampf zu verhindern.
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