Volksaktien-Plan: "Die Bahn-AG gehört längst dem Volk"
Linke SPDler wollen den Bahn-Verkauf durch Volksaktien verhindern. Das spalte den Widerstand gegen die Privatisierung, so Winni Wolf vom Bündnis "Bahn für Alle".
taz: Herr Wolf, Teile der SPD um den Abgeordneten Hermann Scheer und die hessische Spitzenkandidatin Andrea Ypsilanti wollen den Verkauf der Bahn an Investoren stoppen und werben stattdessen für "Volksaktien" ohne Stimmrecht. Wie finden Sie diesen Vorschlag?
Winfried Wolf: Ich halte in mehrfacher Hinsicht für fragwürdig. Zum einen haben "Volksaktien" zu Recht einen schlechten Ruf; ich erinnere nur an die Telekom. Ein solches Modell in Wochen der allgemeinen Finanzturbulenzen anzupreisen, ist kühn. Zum anderen wollen auch "Volksaktionäre", wenn sie schon nicht stimmberechtigt sind, wenigstens eine ordentliche Rendite.
WINFRIED WOLF (58) ist Sprecher der Experten-Gruppe "Bürgerbahn statt Börsenbahn" und aktiv im Aktionsbündnis "Bahn für Alle", zu dem sich 15 Organisationen zusammengeschlossen haben, darunter Attac, BUND, Grüne Jugend, Naturfreunde, Eurosolar, Robin Wood und Verdi. Er schreibt regelmäßig über Verkehrsthemen; im Oktober erscheint das Buch "Verkehr - Umwelt - Klima: Die Globalisierung des Tempowahns"
Was spricht denn gegen eine Rendite?
Dafür sind Gewinne notwendig - und die entstehen bei einer guten Bahnpolitik nicht, weil sie dort im Interesse der Fahrgäste reinvestiert würden. Auf dem Papier weist die Bahn derzeit zwar Gewinne aus, aber nur durch kreative Buchführung: Die Bahn wird auf Substanz gefahren, was sich langfristig rächen wird. Sie erhält jährlich mehr als zehn Milliarden Euro vom Staat - "Volksaktionäre" würden also aus Steuermitteln alimentiert. Außerdem taucht ein sehr großer Teil des Anlagevermögens der Bahn, etwa alle Neubaustrecken, nicht in der Bilanz auf, was eine überhöhte Rendite vorgaukelt.
Trotzdem müsste Ihnen Scheers Volksaktie doch besser gefallen als der Tiefensee-Plan.
Ich verstehe nicht, was er sich davon verspricht. Die Bahn-AG gehört längst dem Volk: Sie wurde vom Steuerzahler finanziert und ist zu 100 Prozent im Besitz des Bundes. Warum soll "das Volk" dafür nochmal bezahlen? Dieses Modell täuscht Volkseigentum vor, doch in Wirklichkeit geht es auch hierbei um den Ausverkauf öffentlichen Eigentums.
Immerhin erhielte das Unternehmen dadurch neues Kapital, sagen die Befürworter.
Auch dies Argument ist haltlos. Derzeit investiert die Bahn vor allem in weltweite Logistik, die mit ihrer eigentlichen Aufgabe nichts zu tun hat. Wenn die Bahn Geld bräuchte, um den Schienenverkehr im Inland zu verbessern, könnte sie ganz einfach ihre schienenfremden Engagements verkaufen und ihr Anlagevermögen richtig bewerten, also höher als bisher. Zudem genießt die Bahn als Staatsunternehmen derzeit ein optimales Rating, kommt also besonders günstig an Kredite. Wenn das 100-prozentige Bundeseigentum aufgegeben würde, wäre es für die Bahn schwieriger und teuerer, sich Kapital zu beschaffen.
Das Bundeskabinett hat dem Bahn-Privatisierungsgestz bereits zugestimmt. Kann es da nicht eine kluge Strategie sein, den Ausverkauf an Investoren durch einen solchen Kompromissvorschlag zu verzögern, um ihn dann - etwa durch eine Entscheidung beim SPD-Parteitag - noch zu stoppen?
Ich befürchte, dass dieser Plan nicht aufgeht. Scheer und Ypsilanti sagen selbst, dass ihr Vorschlag "weitgehend kompatibel" mit dem Gesetzentwurf der Regierung ist. Dass er dort Eingang findet, ist aber angesichts der ablehnenden Haltung der Union ausgeschlossen. Für die "Prüfung" des Volksaktien-Vorschlags will sich der SPD-Vorstand zudem so wenig Zeit nehmen, dass der Zeitplan nicht ernsthaft gefährdet wird. Es ist gerade jetzt möglich, das Gesetz noch vor dem SPD-Parteitag Ende Oktober durch den Bundestag zu bringen. Der Parteivorstand hat die "Prüfung" des Volksaktienmodells zugesagt - doch als Gegenleistung musste die Parteilinke nicht nur den Regierungsentwurf als Grundlage der parlamentarischen Debatte akzeptieren, sondern auch den undemokratischen Zeitplan. Das Gesetz wird direkt nach der Sommerpause als "eilbedürftiger" Punkt eingebracht, möglicherweise sogar schon in der Haushaltswoche.
Was sollten die SPD-Linken denn Ihrer Meinung nach stattdessen tun?
Sie sollte zur Kenntnis nehmen, dass sich - auch durch das Engagement von Hermann Scheer - die Stimmung gedreht hat. Der Plan der Privatisierer, sich die Beute Bahn weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit anzueignen, geht nicht mehr auf. Öffentlichkeit und Medien stellen das Projekt in Frage. Zwei Drittel der Menschen lehnen die Bahn-Privatisierung ab.
Was folgt daraus?
In dieser Situation erweist sich das Volksaktienmodell als trojanisches Pferd, mit dessen Hilfe der Widerstand gegen die Bahnprivatisierung gespalten und geschwächt wird. In den Bundesländern gibt es eine weitreichende Opposition gegen den Regierungsentwürfe, und bereits fünf SPD-Landesverbände haben den Privatisierungsplänen eine komplette Absage erteilt. Diese Chancen müssen genutzt werden. Aber nicht mit fragwürdigen "Volksaktien"-Modellen. Sondern mit einem offensiven Nein - zum Bahnverkauf ebenso wie zum provokativ undemokratischen Zeitplan der Regierung.
INTERVIEW: MALTE KREUTZFELDT
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