: Volkmann/Grubbe muß nicht mehr vor Gericht
■ Wiederaufnahmeverfahren ist trotz neuer Aktenfunde unwahrscheinlich
Berlin (taz) – Peter Grubbe, linksliberaler Journalist und Buchautor, wird im Dezember seinen 83jährigen Geburtstag friedlich feiern können. Seine Vergangenheit als Claus Peter Volkmann, kommissarischer Kreishauptmann im galizischen Distrikt Kolomea (Ukraine) und dort von Sommer 1941 bis Sommer 1942 ziviler Chef des jüdischen Ghettos wird aller Voraussicht nach keine strafrechtlichen Konsequenzen haben. (zuletzt taz vom 10. Juli) Die zuständige Staatsanwaltschaft in Darmstadt schätzt die Aussichten für ein Wiederaufnahmeverfahren sehr gering ein.
Gegen Volkmann/Grubbe und weitere 27 Personen lief von 1963 bis 1969 ein Vorermittlungsverfahren wegen Beihilfe an den Morden im Wald von Scheparowze (bei Kolomea). Am 30. Mai 1969 setzte das Schwurgericht Darmstadt Volkmann/Grubbe ohne Hauptverhandlung „außer Verfolgung“, wie es im Juristendeutsch heißt. Das Gericht sprach ihn damit nicht ausdrücklich frei von allen Vorwürfen, aber ein Freispruch zweiter Klasse war dieses Urteil von 1969 dennoch. Zumal die Vorgänge im Ghetto von Kolomea aus dem Verfahren Scheparowze ausgeklammert und getrennt verhandelt wurden und dabei gegen Volkmann/Grubbe nicht ermittelt wurde. Grubbes Erklärung „Ich habe mir nichts vorzuwerfen“ (in Kolomea wurden 30.000 Menschen ermordet, d. Red.) ist daher eine juristisch korrekte Aussage.
Dennoch sind Wiederaufnahmeverfahren „zuungusten eines Angeklagten“ im Prinzip möglich, wenn neue Aktenfunde neue Erkenntnisse versprechen. Die Staatsanwaltschaft Darmstadt hat, wie ein Sprecher bestätigte, vergangenen Dezember von der Zentralstelle der Landesjustizverwaltungen in Ludwigsburg neue Unterlagen zum Fall Volkmann/ Grubbe bekommen. Diese Akten stammen vorwiegend aus Polen. Um ein Wiederaufnahmeverfahren einzuleiten, müßte die Staatsanwaltschaft diese Unterlagen prüfen und mit den 12.000 Blatt, die es zu Scheparowze in Darmstadt gibt, abgleichen. Dies ist bisher nicht geschehen und wird, wie der Sprecher der Staatsanwaltschaft meinte, „aus Personalmangel und Arbeitsüberleistung“ auch so schnell nicht geschehen.
Aber selbst wenn diese Hürde bewältigt werden sollte, können die Ermittlungen über Scheparowze nur wiederaufgenommen werden, wenn die neuen Akten ergeben, daß Urkunden, die damals zu seinem faktischen Freispruch führten, gefälscht oder Zeugenaussagen falsch waren. Und ein gänzlich neues Verfahren gegen Volkmann/Grubbe wegen seiner Aktivitäten in Kolomea oder in den Zwangsarbeitslagern von Polen ist nur möglich, wenn ihm die persönliche Beteiligung an Morden nachgewiesen werden kann. Alle anderen Verbrechen, wie Beutezüge im Ghetto oder Anweisungen zur Zwangsarbeit – die taz veröffentlichte dazu Dokumente – sind längst verjährt.
Und damit sind der Schwierigkeiten noch nicht genug. Denn selbst wenn diese Bedingungen erfüllt sind, muß die Staatsanwaltschaft Darmstadt beim Landgericht Kassel einen begründeten Wiederaufnahmeantrag stellen, über deren Zuläßigkeit dort entschieden wird. Ein Wiederaufnahmeverfahren darf nicht von dem Gericht, das eine Erstentscheidung fällte, in Gang gesetzt werden.
All dies kann Jahrzehnte dauern, zumal die Staatsanwaltschaft Darmstadt im Erstverfahren Unterlagen, die auf eine persönliche Beteiligung von Volkmann/ Grubbe an Morden im Ghetto von Kolomea hinwiesen, offensichtlich nicht berücksichtigte. Denn sonst hätte sie ja Volkmann/Grubbe aus dem von dem Fall Scheparowze abgetrennten Kolomea-Verfahren nicht ausklammern können. Wie Simon Wiesenthal gegenüber der taz erläuterte, hat die israelische Polizei am 22. April 1968 die Aussagen, Namen und Adressen von zwei Zeugen nach Ludwigsburg und Darmstadt geschickt: Siegmund Prinz und Moses Schliesser. Sie hätten im Kriegsverbrecherprozeß gegen die österreichischen Schutzpolizisten des Ghettos, geführt in Wien 1947, den „Namen Volkmann im direkten Zusammenhang mit der Erschießung der jüdischen Schneiderin Sarah Becher und dem Juden Blawer erwähnt“. Als weitere Augenzeugen dieser Morde seien in dem Prozeß die Namen von „Herrn Heger, Horowitz und Meissner“ genannt worden. Daß die Zeugen Prinz und Schliesser noch heute am Leben sind, schließt Wiesenthal aus. Prinz sei 1899 geboren, Schliesser 1902.
Es sieht also alles danach aus, daß Grubbe nicht nur sagen kann: „Ich habe mir nichts vorzuwerfen“, sondern ebenfalls: „Die Gerichte können mir nichts vorwerfen.“ Anita Kugler
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