Völlig „harmloser Großbrand“ in russischem AKW

■ Leck im schnellen Brüter von Belojarsk im Ural / Ausgetretenes flüssiges Natrium brennt

Berlin/Moskau (taz) – In dem russischen Atomkraftwerk Belojarsk im Ural ist gestern ein Großbrand ausgebrochen, der bis Redaktionsschluß nicht gelöscht werden konnte. Um 9.24 Uhr Ortszeit (5.24 Uhr MESZ) trat aus einem Leck im äußeren Kühlkreislauf des Blocks 3 flüssiges nichtradioaktives Natrium aus. Es geriet in Verbindung mit dem Luftsauerstoff sofort in Brand. Über dem schnellen Brüter, 40 Kilometer nördlich der Industriestadt Jekaterinburg mit mehr als einer Million Einwohnern, stand dichter weißer Rauch. Jekaterinburg ist die Heimatstadt von Boris Jelzin.

Wie Juri Ryschkow, ein Sprecher der Zivilabteilung des Moskauer Atomministeriums, gegenüber Greenpeace sagte, stand die Werksfeuerwehr zunächst hilflos vor dem Brand. Ihr fehlte die notwendige Ausrüstung zum Löschen von Natrium. Dieser Stoff, der in schnellen Brütern als Kühlmittel eingesetzt wird, explodiert beim Kontakt mit Sauerstoff oder Wasser. Auch eine aus Jekaterinburg herbeigerufene Feuerwehrbrigade verfügte nicht über das notwendige Gerät. Nach Ryschkows Worten versuchten die Feuerwehrleute am späten Nachmittag, das Leck hinter dem 500 Grad heißen und qualmenden Natrium zu finden, um es zu stopfen. Das bis dahin ausgetretene Natrium könne dann ausbrennen.

Georgi Kaurow, Pressesprecher des Atomenergieministeriums, konnte gestern die Aufregung westlicher Journalisten nicht verstehen. Es handele sich doch nur um „ein kleines Feuer“. Den Störfall ordnete er in die Stufe 1 („unbedeutend“) der achtstufigen internationalen INES- Skala ein (Tschernobyl: Stufe 7). Das flüssige Natrium sei, so Kaurow, bei Reparaturarbeiten an dem seit April stillgelegten Reaktor ausgetreten.

Der schnelle Brüter vom Typ BN600 mit einer Leistung von 600 Megawatt ist der zweitgrößte auf der Erde nach dem französischen Superphénix und seit April 1980 in Betrieb. Die Schnelle-Brüter- Technologie kann der Wiederanreicherung abgebrannter Brennelemente aus Leichtwasserreaktoren dienen – oder der Herstellung von Bomben-Plutonium. In Belojarsk sind die beiden Leichtwasserreaktoren nach Informationen von Greenpeacler Roland Hipp 1981 und 1989 vom Netz gegangen – nach zahlreichen Störfällen, wobei es in Block 2 im Jahr 1977 zur Teil-Kernschmelze kam.

Bei schnellen Brütern ist im Primärkreislauf das Natrium radioaktiv angereichert. Im Belojarsker Block 3 war erst im Oktober radioaktives Natrium 24 ausgetreten. Damals wurde das Personal evakuiert. Gestern war das laut Kaurow nicht nötig, weil das Leck im zweiten Kreislauf aufgetreten sei: „Es besteht keine Gefahr.“ Donata Riedel