Völkerwanderung zum Kirchentag: Mekka liegt in Sachsen
Zehntausende sind zum Evangelischen Kirchentag nach Dresden gepilgert. Warum eigentlich? Von "schwarzen Schafen" in Leder und deutschem Rock.
DREDEN taz | "... da wird auch dein Herz sein", lautet das Motto des 33. Kirchentages. Das Herz schlägt im Zug nach Dresden allerdings noch nicht höher. Die Abteile sind voll und stickig, Christen treffen auf Feierabendpendler. Von der bevorstehenden religiösen Zusammenkunft ist wenig zu spüren. Die Menschen schauen auf ihre Laptops, hören Musik, blättern in Zeitschriften.
Ein Mittfünfziger mit grauem Haarkranz blättert im Programmheft des Kirchentages. Sein Hemd hat blauen Streifen, an den Füßen trägt er schwarze Socken und braune Trekkingsandalen. Sieht so der typische Eventchrist aus?
Wo sind die Menschen, die Dresden für fünf Tage in ein christliches Mekka verwandeln sollen? "Die jungen Leute sind schon früher angereist. Wegen dem Auftakt. Die sind lauter", sagt eine Frau, die auf dem Gang sitzt. Dann schaut sie wieder in ihr Buch und liest weiter. Ein einzelner Pfadfinder sitzt in voller Uniform in einem Abteil, einen Kirchentagsausweis um den Hals. Als der Zug in den Dresdener Hauptbahnhof einfährt, stimmen Einige "Ja, Jesus liebt dich" an. Nach zwei Anläufen wird der Versuch beendet.
Der Bahnhof ist voller Menschen. Pfadfinder sollen den Gästen helfen, den Weg zu ihren Schlafplätzen zu finden. Die meisten tragen ein grünes Tuch mit Kirchentagslogo um den Hals. Der Kirchentag beginnt mit mit dem Abend der Begegnung: auf der Elbe treibt ein Meer aus Kerzen, dazu erklingt Musik. Am Ende spricht jemand einen Nachtsegen. Ein Ordner vermutet: "Ab etwa halb eins ist Ruhe."
Volksfeststimmung mit Bierkiste
Wieder am Bahnhof. Menschen in Outdoor-Jacken, die bürgerliche Mitte. Ein Paar sieht anders aus. Zwei Männer Arm in Arm, sie sind komplett in dunkles Leder gekleidet. "Für viele hier sind wir immer noch schwarze Schafe. Das wollen wir auch mit unserer Kleidung ausdrücken", sagt der Eine. Schwul sein sei ja immer noch ein Thema in der Kirche, das gerne totgeschwiegen würde.
Sie wollen "auffallen und provozieren", aber nicht nur. Er habe Gott bereits gefunden und will anderen zum gleichen Glück verhelfen. "Ich will, dass Menschen nicht nur beten, wenn es ihnen schlecht geht. Sie sollen immer dankbar für ihr Leben sein."
Auf einer Bühne wird deutscher Rock gespielt. Junge Leute tragen eine Kiste Bier. Je später es wird, desto jünger wird das Publikum. Immer noch strömen Menschen aus allen Richtungen. "Aber es bleibt alles friedlich", sagt ein Sanitäter von den Johannitern. Es sei eine ganz andere Stimmung als auf einem normalen Konzert. Er gähnt.
"Ich versteh die Besucher nicht", sagt ein junger Mann in langem schwarzen Mantel. Mit seiner gepiercten Unterlippe und drei Freunden steht er an einer Haltestelle und riecht nach Patschuli. Die Kirchentagsbesucher würden von einem Ort zum anderen rennen und wieder zurück – irgendwie sinnlos. "An Gott glaube ich nicht", sagt er, "aber an Satan".
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