Völkerrechtler gegen Kosovo-Anerkennung: "Es gibt kein Recht auf Abspaltung"
Völkerrechtler Michael Bothe rät davon ab, den neuen Kosovo-Staat anzuerkennen. Aufbauhilfe der EU hält er ohne das Ja der UNO für illegal.
taz: Herr Bothe, soll die Bundesregierung den neuen Staat "Kosovo" anerkennen?
Michael Bothe: Schon aus politischen Gründen rate ich ab. Eine Staatengründung im Kosovo hilft nicht, die Region zu befrieden. Sie vertieft die Gräben.
Haben die Kosovaren keinen Anspruch auf einen eigenen Staat?
Völkerrechtlich: nein. Die Albaner sind eine Minderheit im serbischen Staat, sie haben deshalb zwar Anspruch auf Minderheitsrechte, aber keinen Anspruch auf die staatliche Abspaltung. Es gibt im Völkerrecht kein allgemein anerkanntes Recht auf Sezession, sonst müsste etwa Spanien das Baskenland in die Unabhängigkeit entlassen. Eine Ausnahme kommt nur im Falle schwerer Menschenrechtsverletzungen in Frage.
Unter Miloðevic wurden die Kosovo-Albaner von den Serben massiv unterdrückt
Auf die Vergangenheit kommt es nicht an. Nur gegenwärtige Unterdrückung kann die Abspaltung rechtfertigen.
Nun haben sich die Albaner dennoch für unabhängig erklärt. Ist das ein Staat?
Im Völkerrecht gibt es hierfür drei Kriterien: Man braucht ein Staatsvolk, ein Staatsgebiet und effektive Staatsgewalt. Bei Letzterem habe ich meine Zweifel. Zwar hat Serbien im Kosovo faktisch nichts mehr zu sagen, aber eine eigene souveräne Staatsgewalt des Kosovo wird es so schnell wohl nicht geben. Die kosovarische "Staatsgewalt" hängt ab von der internationalen Militärpräsenz, sie untersteht formell und faktisch der Oberhoheit der UN-Verwaltung. Daran wird sich auch durch die Ausrufung der Unabhängigkeit nichts ändern. Die internationale Gemeinschaft traut dieser Regierung ganz offensichtlich noch lange nicht zu, für Frieden im eigenen Land sorgen zu können.
Also tut das Kosovo nur so, als sei es ein Staat?
So kann man das sehen, in der Praxis wird viel darauf ankommen, wie viele andere Staaten Kosovo wirklich anerkennen.
Serbien hält die Staatengründung schon wegen der Verletzung der UN-Resolution 1244 für illegal. Zu Recht?
Wohl ja. Nach der Nato-Intervention von 1999 wurde die Staatsgewalt im Kosovo der UN-Mission Unmik übertragen. Die zugrunde liegende Resolution 1244 bekennt sich zur "territorialen Unversehrtheit der Bundesrepublik Jugoslawien". Dagegen verstößt eine einseitige Loslösung des Kosovo.
Ist diese Resolution nach neun Jahren des Stillstands nicht überholt?
Nein. Die Resolution ist auch heute noch das maßgebliche Dokument für den Status des Kosovo. Wer das bezweifelt, untergräbt das rechtliche Fundament der gegenwärtigen ausländischen Präsenz im Kosovo. Niemand sollte den Ast absägen, auf dem er sitzt.
Kann sich Serbien gegen die Loslösung des Kosovo wehren, eventuell sogar mit militärischen Mitteln? Können die Russen Nothilfe leisten?
Nein. Eine solche Intervention verstieße gegen das völkerrechtliche Gewaltverbot, und eine serbische Zustimmung würde sie auch nicht rechtfertigen. Praktisch relevant sind solche Optionen zum Glück nicht. Serbien wird seine Position wohl eher durch eine Politik der Nadelstiche gegenüber dem Kosovo und den anerkennenden Staaten ausdrücken, etwa durch eine Handelsblockade oder die Nichtanerkennung von Pässen und Hoheitsakten des Kosovo.
Ist auch eine gerichtliche Klärung möglich?
Serbien hat angekündigt, den Internationalen Gerichtshof in Den Haag anzurufen. Dort kann es aber nicht das Kosovo verklagen, weil dieses kein UN-Mitglied ist. Serbien kann aber EU-Staaten verklagen, die das Kosovo anerkennen und sich der Rechtsprechung des IGH unterworfen haben. In diesem Rechtsstreit könnte der IGH feststellen, ob die Anerkennung rechtmäßig war.
Die EU hat unter dem Label "Eulex" die Entsendung von Juristen und Polizisten beschlossen, die dem Kosovo beim Aufbau eines Rechtsstaats helfen sollen. Serbien spricht von einer illegalen "Besetzung" durch die EU
Der Begriff ist natürlich polemisch. Freilich ist eine derartige EU-Mission im Kosovo in der Resolution 1244 nicht vorgesehen. Die in dieser Resolution vorgesehene "zivile Präsenz" ist eine UN-Verwaltung. Wegen Eulex müsste sich die EU also erst mit dem Chef der UN-Verwaltung einigen.
Die EU beruft sich auf einen Satz von UN-Generalsekretär Ban Ki Moon in einem Bericht vom Januar, wonach die UN eine Bereitschaft zur verstärkten Anwesenheit der EU im Kosovo zur Kenntnis genommen habe. Genügt das?
Nein, es müsste schon eine rechtlich formalisierte Einigung sein.
INTERVIEW: CHRISTIAN RATH
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