■ Mit Arbeitsplatzschutz auf du und du: Vögel haben Vorrang
Freiburg (taz) – Die Ausweisung von Vogelschutzgebieten kann nicht durch den Hinweis auf bedrohte Arbeitsplätze verhindert werden. Dies entschied gestern der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg. In einem Musterprozeß erteilte er dem Versuch der britischen Regierung, den EU-Vogelschutz aufzuweichen, eine klare Absage.
1993 hatte die britische Regierung an der englischen Südwestküste ein größeres Natur- und Vogelschutzgebiet eingerichtet, die Medway Marsch. Das von Schlammzonen und Salzsümpfen bestimmte Gebiet bietet Lebensraum für eine große Zahl von Watt- und Wasservögeln. Auf Drängen des benachbarten Hafens von Sheerness wurde jedoch einem kleinen Stück der Medway Marsch der Schutz versagt.
Dieses Gebiet namens Lappel Bank wurde für die Erweiterung der prosperierenden Hafenanlage benötigt. Aufgrund der günstigen Lage nahe London und dem Kanaltunnel war Sheerness bereits zum fünftgrößten britischen Frachthafen gewachsen. Mit der Erweiterung sollten die bestehenden Arbeitsplätze gesichert und neue geschaffen werden.
Obwohl die Lappel Bank mit ihren 22 Hektar nur ein Prozent der Medway Marsh ausmachte, forderte die „Royal Society for the Protection of Birds“ kompromißlosen Vogelschutz und klagte gegen die Hafenerweiterung. Die königlichen Vogelschützer beriefen sich dabei auf die EU-Vogelschutz-Richtlinie von 1979. Diese Richtlinie, einer der ersten Gemeinschaftsakte, die sich dem Umweltschutz widmen, verlangt von den Mitgliedstaaten, daß die „geeignetsten“ Flächen als Vogelschutzgebiete ausgewiesen werden.
Die britische Regierung berief sich dagegen auf die erst 1992 verabschiedete Habitat- Richtlinie der EU. Mit diesem Rechtsakt, der eigentlich Natur- und Artenschutz zu stärken versucht, wurde auch eine Möglichkeit eingeführt, Schutzgebiete aus wirtschaftlichen Gründen wieder zu verkleinern. „Warum sollen wir die Lappel Bank erst unter Schutz stellen, um sie hinterher wieder zu deklassifizieren“, fragten die Briten. Doch der EuGH blieb hart. Auch die Verkleinerung von Schutzgebieten sei an bestimmte Bedingungen geknüpft. Um diese richtig prüfen zu können, müßte die Lappel Bank erst einmal unter Schutz gestellt werden.
Den Vögeln der Lappel Bank nutzt das Votum aus Luxemburg zwar nichts mehr, denn die Hafenerweiterung wurde in den vergangenen zwei Jahren bereits weitgehend umgesetzt. Dennoch gilt das Urteil als Signal. Ähnliche Interessenkollisionen, nicht nur auf der britischen Insel, dürften nun zugunsten des Artenschutzes ausgehen. Christian Rath
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