Vizepräsident von Libyens Rebellenregierung: "Kein Problem mit Berlusconi"
Abdul Hafiz Ghoga, Vizechef des Nationalen Übergangsrates freut sich, dass Italien nicht mehr Gaddafi, sondern die Rebellen stützt. Dafür kommt man Italien bei der Flüchtlingsfrage entgegen.
taz: Herr Ghoga, der Chef des Nationalen Übergangsrates, Mustafa Abdul Jalil, ist zu politischen Gesprächen in Rom gewesen. Worum ging es dabei?
Abdul Hafiz Ghoga: Präsident Jalil besucht die drei Länder, die den Nationalen Übergangsrat anerkannt haben, also Italien, Frankreich und Katar. In Rom konnte er sich für die Unterstützung bedanken, welche die italienische Regierung dem Teil des libyschen Volkes zugesagt hat, der in den befreiten Gebieten lebt.
Ging es dabei auch um Waffenlieferungen?
Darum kümmert sich unser Militärchef, Abdel Fattah Younis. Waffenlieferungen sind unabdingbar für den erfolgreichen Widerstand gegen Gaddafis Einheiten. Younis rechnet in den nächsten Tagen mit einer Stellungnahme seitens der italienischen Regierung.
Die Regierung Berlusconi hat sehr enge Verbindungen zum Gaddafi-Regime gepflegt. Haben Sie nicht Zweifel an der Verlässlichkeit eines Partners, der vor kurzem noch Ihren ärgsten Feind hofierte?
Nein, wir sehen da kein Problem. Wir sind glücklich, dass sich die italienische Regierung auf die Seite des libyschen Volkes und des Übergangsrates gestellt hat.
ist Menschenrechtsanwalt und Vizepräsident des libyschen Nationalen Übergangsrates in Bengasi. Er vertritt die Familien der Opfer des Massakers im Gefängnis von Abu Salim 1996, bei dem Gaddafis Truppen nach Angaben von Augenzeugen fast 1200 Gefangene ermordeten.
Der italienisch-libysche Freundschaftsvertrag enthält auch eine umstrittene Vereinbarung zur Abwehr von Flüchtlingen, die über Libyen nach Italien kommen wollen. Wird der Übergangsrat diese Vereinbarung respektieren?
Ja, wie alle Punkte des Vertrags. Die Regierung Berlusconi kommt uns sehr entgegen, und wir werden im Gegenzug Immigranten daran hindern, illegal die italienischen Küsten zu erreichen.
Wie soll es denn in Libyen selbst nun weitergehen?
Zunächst: Der Nationale Übergangsrat wartet nicht einfach den Ausgang des Krieges ab, sondern arbeitet kontinuierlich am Aufbau des neuen libyschen Staates. Und zwar nicht nur in den befreiten Gebieten, sondern auch im von Gaddafi kontrollierten Westen, auch in Tripolis. Wir können hier keine Namen nennen, da das die betreffenen Personen gefährden würde. Aber es sind viele. Wir verstehen uns jedenfalls als Regierung für ganz Libyen. Wir sind diplomatisch im Ausland aktiv, um Anerkennung und Hilfe aller Art zu organisieren, vor allem Lebensmittel, Güter des täglichen Bedarfs für die Bevölkerung und Waffen für unseren Kampf.
Der Ölexport ist Ihre Eintrittskarte bei vielen Regierungen. Wann wird die Produktion wieder aufgenommen werden?
Ich kann das nicht genau sagen. In den vergangenen Wochen haben Gaddafis Truppen einige Förderzentren angegriffen. Wir bemühen uns, die Anlagen unter unserer Kontrolle schnellstmöglich zu reparieren. Eine Million Barrel, die gelagert waren, haben wir schon verkauft. Katar hat sich bereit erklärt, uns beim Verkauf zu helfen und ist hier unser engster Partner. In Zukunft wollen wir den Ölverkauf an die Länder, die entsprechende Abkommen mit Libyen haben, aber wieder selbst übernehmen. Der Nationale Übergangsrat hat erklärt, aus Libyen ein freies Land machen zu wollen, mit demokratischen Institutionen, Pressefreiheit und so weiter.
Wie stehen Sie zu den Aufständen gegen Diktaturen in anderen arabischen Ländern?
Wir führen unseren Kampf für ein anderes Libyen und stehen an der Seite aller arabischen Völker, die sich gegen autoritäre Regierungen zur Wehr setzen.
Auch in Katar, das Sie offen unterstützt, und in den anderen Emiraten am Golf, etwa in Bahrain?
Die Golfstaaten sind anders als die Länder des Nahen Ostens. Libyen und Syrien sind brutale Diktaturen. In Ägypten, Tunesien und Jemen gab es jahrzehntelang nur Scheinwahlen. Katar hingegen unterstützt die Revolutionen und ist auch selbst demokratisch. Das gilt auch für Bahrain und andere Golfstaaten. Die Situation ist hier ganz anders als in Libyen oder Syrien. Das sollte man nicht auf die gleiche Stufe stellen.
Das Interview wurde in Bengasi geführt. "il manifesto", 20. 4 2011. Mit freundlicher Genehmigung von "il manifesto" Übersetzung aus dem Italienischen: Ambros Waibel
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
Bundestagswahlkampf der Berliner Grünen
Vorwürfe gegen Parlamentarier
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt
Berliner Kultur von Kürzungen bedroht
Was wird aus Berlin, wenn der kulturelle Humus vertrocknet?